Autoren: Édouard Louis
Taschenbuch: 208 Seiten
ISBN: 978-3100022776
Preis: 16,99 EUR (ebook) | 18,99 EUR (Hardcover)
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Story:
Schon von klein auf ist Eddy anders als die übrigen Kinder des ärmlichen Dorfes in der Picardie, in der echte Männer von der Schule abgehen, Frauen abschleppen und saufen. Er hat nicht nur eine hohe Stimme, sondern auch einen tänzelnden Gang und ist es gewohnt seine Worte mit ausholenden Gesten zu unterstreichen. Bereits in der Schule wird ihm dies zu Verhängnis, denn er ist schnell zum Schwulen degradiert – lange bevor er überhaupt weiß, was dieses Wort bedeutet. Die Auswirkungen bekommt er direkt zu spüren, mal in verbaler, mal in körperlicher Gewalt. Für ihn steht fest, dass er alles daran setzen will, um nicht schwul zu sein – lieber arbeitsloser Fabrikarbeiter mit krankem Rücken und Alkoholproblem, als der Außenseiter des Dorfes zu sein. Doch so leicht lässt sie seine Natur nicht abändern …
Eigene Meinung:
Mit „Das Ende von Eddy“ erschien 2013 das Debüt des damals erst 20-jährigen Édouard Louis, das deutliche autobiografische Züge aufweist. Bis heute verkaufte sich der Bestseller über 200.000 mal in Frankreich, in Deutschland erschien der Roman bei Fischer. Auf sehr direkte und unverblümte Art und Weise berichtet der Autor von seiner Kindheit in der französischen Provinz und was es heißt dort als homosexueller Junge zu leben.
Die Geschichte des jungen Eddy nimmt einen schon auf den ersten Seiten gefangen – schon früh in die Rolle des Außenseiters gedrängt, versucht er sein Leben auf verschiedene Weisen zu meistern: Anpassung an das Leben der übrigen Menschen eines Dorfes, in dem die Zeit stillzustehen scheint. Männer gehen frühzeitig von der Schule ab, arbeiten in der Fabrik, heiraten und produzieren einen Stall Kinder; Frauen werden Verkäuferinnen, Friseure oder Altenpflegerinnen, heiraten möglichst jung und bringen die Kinder zu Welt, um nicht als frigide oder lesbisch zu gelten. So sehr man die Gutbürgerlichen um ihr Geld beneidet, so sehr verachtet man sie; Armut ist der ewige Begleiter, zusammen mit Gewalt und Brutalität, die erschreckend alltäglich daherkommt und ebenso akzeptiert und toleriert wird wie Rassismus und Fremdenhass.
Das Eddy allein wegen seiner hohen Stimme, seiner Mimik und Gestik kaum eine Chance hat, wird schnell deutlich: in den Augen seiner Familie und der übrigen Bewohner ist er schwul, weil er sich auffallend weiblich verhält und heult, sobald man ihn schlägt. Es braucht lange bis Eddy erkennt, dass er sich nicht anpassen kann und lieber aus diesem Leben fliehen möchte, um anderswo sein Glück zu suchen. Bis es soweit ist durchlebt der Leser zusammen mit Eddy die Hölle, denn die gesamte Kindheit und Jugend von Angst, Selbsthass und Abneigung geprägt, die ihm von allen Seiten entgegenschlägt. Hinzukommt die Armut, in der die Familie lebt und die zeigt, wie schlecht es mitunter einigen Menschen heute noch geht: teils gibt es nichts zu essen, Ärzte sind verpönt und wer in der Schule mitarbeitet, degradiert sich selbst zum Außenseiter. Das Leben des einfachen Arbeiters ist hart, der Weg jedoch vorherbestimmt, sobald man in die Provinz hineingeboren wird: es ist ein beständiger Kreislauf, den man kaum durchbrechen kann.
Mit einer enormen sprachlichen Wucht und eine unverblümten, verbalen Brutalität erzählt der Autor die Geschichte von Eddy. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, scheut sich nicht vor intimen Details aus seinem Leben und schont den Leser in keiner Weise. Man ist gleichermaßen schockiert, getroffen und berührt, denn Édouard Louis gibt Einblicke in die vollkommen fremde Welt der tiefsten Provinz. Positiv ist, dass er den Dialekt und die Sprache der Arbeiter perfekt wiedergibt, was den Unterschied zwischen den Menschen der Picardie und dem Ich-Erzähler deutlich macht. So sind die Worte seiner Eltern zumeist kursiv gehalten, ebenso die Dialoge der übrigen Bewohner des Dorfes. Schon optisch hebt sich die Sprache der Arbeiterklasse dem von Eddy bzw. dem Erzähler ab, der sich wesentlich besser und gepflegter auszudrücken vermag. Dennoch geling es dem Autoren vollkommen neutral und wertungsfrei zu beschreiben: so schrecklich und brutal die Schüler, Bewohner und Menschen auch sind, die Eddy zusetzen, sie wirken realistisch und sind nicht übertrieben bösartig. Auch verzichtet er auf versteckte Anklagen und greift niemanden direkt an, was auch nicht zu „Das Ende von Eddy“ gepasst hätte. Édouard Louis trifft die richtigen Töne und überzeugt mit sprachlicher Genauigkeit, einem direkten Stil und einer erschütternden Direktheit, was Erniedrigung, Gewalt und Brutalität betrifft.
Fazit:
Édouard Louis‘ „Das Ende von Eddy“ ist ein sprachgewaltiges, fesselndes Meisterwerk, das zu Recht den Pierre Guénin-Preis, der besonderes Engagement gegen Homophobie auszeichnet, erhalten hat. Mit klaren Worten und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen erzählt der Autor von einer Kindheit, die durch Intoleranz, Hass und Angst geprägt ist, und zeichnet eine Gesellschaft, die für viele kaum mehr existiert. Ein Muss für anspruchsvolle Leser, die nach Lektüre fernab von Romantik und Beziehungsklischees suchen. Zu empfehlen.
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