Heute macht die Blogtour zu „Sunford – Verführung eines Gentleman“ endlich Station bei mir. Ich darf mich mit dem faszinierenden Thema „Homosexualität um 1900“ beschäftigen. Natürlich ließen sich damit mehrere Bücher füllen (hat man übrigens auch getan – „Das andere Berlin“ beispielsweise), dennoch will ich wenigstens einen kleinen Einblick in die Thematik geben. Aufgrund der Tatsache, dass „Sunford“ ein schwuler, historischer Roman ist, konzentriere ich mich vorwiegend auf die männliche Homosexualität – die lesbische Geschichte um 1900 ist einen eigenen Artikel wert 😉
England:
Bereits im 16. Jahrhundert stand in England die Todesstrafe auf Sodomie (in diesem Fall analer Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern), festgeschrieben durch den 1533 geschlossenen Buggery Act. Erst 1871 wurde die Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt, das Gesetz an sich jedoch selten angewandt, da sich Sodomie nur schwer nachweisen ließ.
Im Jahr 1885 wurde der Criminal Law Amendment Act verabschiedet, der Mädchen und Frauen vor Prostitution und Bordellen schützen sollte. Der von Henry Labouchere kurzfristig eingereichte Artikel 11 stellte jedoch alle homosexuellen Akte (gross indecency – grobe Unzucht) zwischen Männern (auch der Versuch solcher Handlungen) unter Strafe. Das Strafmaß belief sich auf zwei Jahre Zuchthaus (mit oder ohne Zwangsarbeit). Die recht schwammige Formulierung „gross indecency“ sorgte dafür, dass jegliches homosexuelles Verhalten unter Strafe gestellt wurde, selbst wenn kein analer Geschlechtsverkehr stattgefunden hatte.
Der erste große Skandal, der im später 19. Jahrhundert die englische Bevölkerung erschütterte, war der Cleveland-Street-Skandal, bei dem 1889 ein Bordell für Männer in der Cleveland Street in London entdeckt wurde. Da sexuelle Handlungen zwischen Männern verboten waren, drohte den Kunden nicht nur eine strafrechtliche Verfolgung durch die Polizei, sondern auch gesellschaftliche Ächtung. Zu Beginn verliefen die Ermittlungen noch ohne die Aufmerksamkeit der Presse – die meisten Botenjungen, die in dem Bordell arbeiteten, wurde mit geringen Strafen belegt, die meisten Kunden kamen straffrei davon. Der Skandal nahm erst größere Züge an, als Ernest Perke, Herausgeber der radikalen Wochenzeitung The North London Press darüber berichtete und erstmals andeutete, dass mehrere Adelige in die Affäre verwickelt seien (darunter laut Gerüchten sogar Prinz Albert Victor, der Zweite in der britischen Thronfolge), beispielsweise der nach Südfrankreich geflohene Lord Arthur Somerset.
Im Nachhinein hatte der Skandal vor allem die Vorstellung gefördert, dass Homosexualität besonders in aristokratischen Kreisen verbreitet sei und dass Jugendliche der unteren Schichten verdorben werden.
Bereits 6 Jahre später folgte ein noch größerer Skandal – die Prozesse um Oscar Wilde. Vom Marquis of Queensberry im Juli 1985 als Sodomit bezeichnet, strebte Wilde eine Verleumdungsklage gegen den Vater seines Freundes und Liebhabers Lord Alfred Douglas an. Im folgenden Prozess wurde nicht nur der Marquis of Queensberry freigesprochen, man erhob Anklage wegen grober Unzucht gegen den britischen Autoren, als sich herausstellte, dass Wilde mit jungen Männern aus der Unterschicht sexuellen Umgang pflegte, darunter auch männlichen Prostituierten. In einem zweiten Verfahren wurde er am 25. Mai 1895 zu zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit verurteilt. Nach seiner Entlassung war Wilde gesellschaftlich und gesundheitlich ruiniert und floh nach Paris, wo er am 30. November 1900 starb.
Homosexuelle Handlungen blieben in England bis 1967 strafbar, erst dann wurde der Criminal Law Amendment Act aufgehoben. Neben Oscar Wilde wurde auch der britische Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing wegen grober Unzucht verurteilt und unterzog sich einer chemischen Kastration, die ihn wahrscheinlich in den Selbstmord trieb. Erst 2013 wurde er von Elisabeth II. rehabilitiert.
Deutschland:
Auch in Deutschland standen homosexuelle Handlungen zwischen Männern seit 1872 unter Strafe, nachdem Karl Heinrich Ulrichs als einer der ersten Vorkämpfer für die Rechte der Homosexuellen ab 1865 erfolglos gegen den §175 vorgegangen war. Unter Strafe standen widernatürliche Handlungen, die mit Gefängnis oder der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte geahndet wurden. In den folgenden Jahrzehnten kämpften unterschiedliche Mediziner (u.a. Magnus Hirschfeld, Arzt und Gründer des Wissenschaftlich-humanitäres Komitees) und Politiker gegen den §175. Mehrere Skandale, wie die Harden-Eulenburg-Affäre, bei der prominente Mitglieder des Kabinetts von Kaiser Wilhelm II. zwischen 1907-1909 vor Gericht standen, brachten jegliche Aktionen gegen den Unzuchts-Paragraphen jedoch zum Scheitern. Auch die Taten homosexueller Serienmörder wie Fritz Haarmann und dessen Verhandlung 1924 verhinderten die Aufhebung des umstrittenen Paragraphen.
Dennoch entwickelte sich Berlin ab Mitte des 19. Jahrhunderts als wichtigste Metropole, in der Homosexuelle relativ frei und sicher leben konnten. Die Stadt wurde international bekannt und unzählige Homosexuelle, die vor der Verfolgung im eigenen Land flüchteten, reisten nach Deutschland. Der bekannteste von ihnen ist der englische Schriftsteller Christopher Isherwood, der mit dem Buch „Leb wohl Berlin“ seine Erlebnisse in Berlin niederschrieb. Es existierten nicht nur mehrere Bars, Clubs und Treffpunkte, die teilweise sogar von der Polizei geschützt und überwacht wurden (im Eldorado in der Motzstraße trafen sich Transvestiten, Transsexuelle und voyeuristische Touristen, Mediziner und Journalisten, die von der Polizei begleitet wurden), sondern auch mehrere Magazine, Vereinigungen und homosexuelle Organisationen, die offen für die Rechte Homosexueller kämpften. Unter Magnus Hirschfeld entstand 1919 auch der Film „Anders als die Anderen“, der erstmals Homosexualität zum Thema hatte und sie nicht in einem negativen Licht darstellte.
Erst mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten änderte sich das offene, ungezügelte Leben der Homosexuellen in Deutschland, was zur Schließung der Berliner Clubs und Bars und zur Einstellung der vielen Zeitschriften führte, die sich mit schwuler und lesbischer Liebe beschäftigten. Ab 1933 begann die systematische Verfolgung Homosexueller.
Frankreich:
Als eines der ersten Länder weltweit wurde Homosexualität in Frankreich bereits 1791 legalisiert, indem die Anti-Sodomie-Gesetze abgeschaffte wurden. Mit dem Code Napoléon 1804 und Code pénal impérial 1810 gewährte Frankreich erstmals absolute Straffreiheit gegenüber Homosexuellen, solange dabei die Rechte Dritter nicht verletzt werden. Das Gesetz wurde von französischen Enzyklopädisten und Vertreter der Aufklärung wie Voltaire, Montesquieu, Mably, Morelly und Condorcet vorangetrieben.
Gesellschaftlich waren Homosexuelle nichtsdestotrotz gesellschaftliche Außenseiter, da die gesellschaftliche Akzeptanz fehlte, doch im Vergleich zu England (und teilweise Deutschland) konnten Homosexuelle ihre Neigung relativ offen ausleben. Aus diesem Grund flüchteten mehrere Homosexuelle aus England nach Frankreich (Lord Arthur Somerset, Oscar Wilde)
USA:
Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika war Homosexualität verboten und wurde bis 1873 in einigen Bundesstaaten mit dem Tod bestraft. Ansonsten drohten je nach Bundesstaat mehrjährige Haftstrafen, da jeder Staat sein eigenes Strafgesetz besaß. Dennoch bildeten sich im ausgehenden 19. Jahrhunderts erste schwule Clubs und Treffpunkte, in New York gab es mit der Bowery sogar einen schwulen Distrikt, in dem sich homosexuelle Männer im Geheimen treffen konnten. In dieser Zeit wurde für Homosexuelle auch der Begriff Fairies geprägt, da dieser zumeist sehr extravagant gekleidet waren. Nichtsdestotrotz wurden Homosexuelle verfolgt und waren zumeist gezwungen ihre Neigungen im Geheimen auszuleben. Teils lebten Männer gebildeter Gesellschaftsschichten in gleichgeschlechtlichen Freundschaften zusammen, bei Frauen prägte sich der Begriff Boston Marriage. Dies änderte sich erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts, das Gesetz gegen sexuelle Perversionen wurde erst ab 1962 schrittweise abgeschafft.
Literatur:
„Adrian Mayfield“-Trilogie (Floortje Zwigtmann)
„Maurice“ (E.M. Foster)
„Die Brüder“ (2. Teil der „Brückenbauer“-Reihe, Jan Guillou)
„Eine Welt dazwischen“ / „In einem Leben wie diesem“ (Aline Sax)
„Ein Mann aus bestem Hause“ (Anne Perry)
„Das andere Berlin – Die Erfindung der Homosexualität: Eine deutsche Geschichte 1867 – 1933“ (Robert Beachy)
„Der Imoralist“, „Die Ringeltaube“ (André Gide)
Die Werke von Walt Withman
Die Werke von Karl May
Damit komme ich auch schon ans Ende meines kurzen Einblicks in das spannende Thema „Homosexualität um 1900“. Und natürlich kann man auch heute wieder ein Print-Exemplar von “Sunford” gewinnen. Wer seine Chancen erhöhen will, sollte bei den anderen Blogtour-Teilnehmern vorbeischauen – bis zum 3. März 2016; 23.59 Uhr könnt ihr die Fragen der anderen Blogger zu den jeweiligen Themen beantworten und so eure Chancen erhöhen. Bitte denkt daran neben eurem (Nick)Namen auch eure Mailadresse zu hinterlassen. Danke.
Hier meine Frage:
Homosexualität wird heutzutage weitestgehend akzeptiert. Wie schätzt ihr die Entwicklung und den heutigen Stellenwert gleichgeschlechtlicher Liebe im Vergleich zu den vergangenen zwei Jahrhunderten ein?
Hier nochmal die einzelnen Stationen:
21.2. lesenliebentraeumen.blogspot.de – Buchvorstellung
22.2. juliassammelsurium.blogspot.de – Figuren
23.2. beatelovelybooks.blogspot.de – Setting
24.2. bambinis-buecherzauber.blogspot.de – Interview
25.2. ulla-liebt-buecher.blogspot.de – Edwardianische Zeit
26.2. likeagaydream.wordpress.com – Homosexualität um 1900
27.2. sanarkai-weltderbuecher.blogspot.de – Historische Gay Romance
28.2. lesekatzen.blogspot.de – Protagonisteninterview
Teilnahmebedingungen:
Eine Barauszahlung des Gewinns ist nicht möglich.
Teilnahme am Gewinnspiel ab 18 Jahren oder mit Erlaubnis des Erziehungsberechtigten.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Für den Postversand wird keine Haftung übernommen, Versand nur innerhalb Deutschlands, Österreich und Schweiz.
Die Adressen werden nur für den Versand ermittelt.
Viel Glück an alle Teilnehmer.
Liebe Grüße,
Juliane
Hallo,
gleichgeschlechtliche Paare werden heutzutage zum Glück weitesgehend akzeptiert… das war in den letzten Jahrhunderten leider noch nicht so. Dennoch gibt es noch viel zu tun im Hinblick auf die Gleichstellung zu heterosexuellen Paaren.
LG
SaBine
Ich denke in Europa und Amerika wird es weitesgehend sehr gut akzeptiert, in Afrika und Asien eher nicht, wahrscheinlich da dort viele Menschen noch sehr konservativ eingestellt sind.
Liebe Grüße,
Daniela
Zum Glück haben wir diese Benachteiligung zum großen Teil schon hinter uns. Ich persönlich habe ich es noch nie verstanden weshalb man gleichgeschlechtliche Paar verachtet oder sogar angreift. Oder weshalb sie noch immer nicht gleich behandelt werden, heiraten dürfen oder Kinder adoptieren können. Ich als Hete will mich ja auch nicht Rechtfertigen müssen mit Wem ich zusammen bin.
Ich persönlich hoffe das vieles noch besser wird und einige Holzköpfe endlich wach werden und JA damit meine ich auch einige Politnasen die immer noch gegen Heirat von Schwulen und Lesben sind.
Hab meine Maiadresse glatt vergessen. berschweiler.39@web.de Schönes Wochenende LG Anja
Da die Frage so offen gestellt ist, möchte ich darauf verweisen, dass im Jahr 2016 in sieben Ländern homosexuelle Handlungen zumindest nach dem Gesetz noch immer mit der Todesstrafe bestraft werden können und teilweise auch werden.
Ich habe mir mal die Mühe gemacht zusammenzuzählen: Diese Gesetzte gelten für 347.800.000 Menschen auf der Erde. Würde man sie fragen, würden sie im Vergleich zu den letzten Jahrhunderten keine Verbesserung erkennen können, denn drakonischere Strafen gibt es nicht.
Das ist nur die Spitze des Eisberges, in der nächsten Abstufung folgen Länder, in denen lebenslange Haftstrafe, Folter, lange und weniger lange Gefängnisaufenthalte, Bußgelder, etc. drohen.
Um auf die Frage zurückzukommen: Ich bin mir sicher, je weiter wir in der Zeit zurückgehen, umso mehr Länder kommen dazu – die Entwicklung geht also in die richtige Richtung. So stehen der o. a. Zahl 65 Staaten der Welt gegenüber, in denen es zugunsten von Schwulen/Lesben (trans* nur teilweise) Antidiskriminierungsgesetze gibt. Davon liegen 40 Staaten in Europa, aber es zählen auch Länder dazu, die man bei dieser Thematik nicht ganz oben auf dem Schirm hat. Das von inneren Kriegen zerrissene, afrikanische Land Mosambik zum Beispiel. Wie die Umsetzungen dann vor Ort aussehen, ist natürlich ein anderes Thema.
Das ist aber nur die offizielle Sichtweise. Du fragst nach dem Stellenwert der gleichgeschlechtlichen Liebe, Juliane. Wenn heute ein Mann einen Mann, eine Frau eine Frau liebt, dann hoffe ich sehr, dass es für die beiden Betroffenen den gleichen inneren Stellenwert besitzt wie vor zehn, 50, 100 und 200 Jahren – nämlich den allergrößten. Es macht uns aus, wen wir lieben und bestimmt unser Glück und unser Leben. Alles von außen, was uns das unmöglich macht, ist ein Verbrechen. Und JA, die Akzeptanz hat sich allgemein gesehen verbessert – aber es ist noch nicht gut, nicht überall. So sehe ich das.
Guten Abend,
das ist ein interessantes Thema. Ich denke, dass es heut zutage schon etwas besser ist, als es früher war. Leider gibt es immer noch viele Länder, in denen es nicht so ist. Daher denke ich das es noch ein langer Weg ist, bis wirklich eine Gleichheit herrscht, denn aus eigenen Erfahrungen ist es sogar bei uns noch nicht so. Viel zu viele Menschen haben immer noch ein Problem damit, daher gibt es immer mehr Gruppen, die sich zusammenschließen, um schon im elementaren Bereich den Kindern zu zeigen, dass es total normal. =)
Liebe Grüße Jeannine M.
Hallo,
die Akzeptanz bei uns ist besser geworden, das zeigt auch die Tatsache dass in den letzten Jahren einige Gesetze eine Mehrheit bekommen haben, die gleichgeschlechtlichen Paaren mehr Rechte einräumen als bisher. Das wäre im letzten Jahrhundert undenkbar gewesen. Trotzdem zeigen auch heute Diskussionen, z.B. über das Adoptionsrecht, wie viele Menschen sich überheblich das Recht nehmen zu entscheiden, wer wen lieben darf, welche Beziehung als “Familie” anerkannt wird.
Es hat sich viel geändert, und es gibt noch viele Dinge die sich ändern sollten.
Liebe Grüße
Gabi W.
Huhu,
Ich hinterlasse dir den Link einfach mal hier: http://schattenfederlein.blogspot.de/2016/03/sisterhood-of-world-bloggers-award.html
Ich habe deinen Blog für den Sisterhood of the World Award nominiert. Auf meiner Seite kannst du alles nachlesen.
Schöne Grüße,
Steffi alias Sky Schattenfeder vom Schattenfeder(lein)-Blog