Autor: Antje Wagner
Hardcover: 408 Seiten
ISBN: 978-3407754356
Preis: 16,99 EUR (eBook) | 17,95 EUR (Hardcover)
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Story:
Die junge Tischlerin Katrina ist auf der Walz und hangelt sich von Auftrag zu Auftrag, von kleinem Jobs zu Gelegenheitsarbeiten. Das bisschen Geld, was sie verdient, legt sie in ihre Kriegskasse, denn sie ist auf Rachefeldzug. Als sie zufällig in dem abgelegenen, verlassenen Haus Waldkauz landet und kurz entschlossen den Job der Verwalterin annimmt, ahnt sie nicht, dass sich nach und nach ihr Leben verändern wird. Nicht nur erinnert sie das Haus, das sie zu Restaurieren beginnt, an ihr Leben in Hyde – dem Ort, an dem sie und ihre Zwillingsschwester Zoe mit ihrem Vater aufgewachsen sind – unerklärliche Dinge passieren: Stufen knarren, Schritte sind zu hören, eiskalte Felder bewegen sich durch die Gänge. Zudem gibt es einen Raum, den sie nicht betreten kann und darf. Nach und nach kommt sie dem Geheimnis des Hauses auf die Spur und muss sich zeitgleich ihrer Vergangenheit stellen.
Eigene Meinung:
Mit „Hyde“ legt die bekannte und mehrfach ausgezeichnete Jugendbuchautorin Antje Wagner ihr neustes Jugendbuch für junge Erwachsene vor. Wie von ihren anderen Büchern gewohnt, ist die leicht thrillerhafte Geschichte von fantastischen Elementen durchsetzt, denn die Erklärungen zum Ende hin bewegen sich fernab der Realität.
Die Geschichte ist sehr verworren, da sie zeitlich auf mehreren Ebenen spielt – zum einen begleitet man Katrina auf ihrer Walz, bei ihrer Anstellung im Kartoffelparadies, einer heruntergekommenen Raststätte in der sie kurze Zeit als Kellnerin arbeitet und schließlich als Verwalterin des Waldkauz‘; zum anderen erlebt man hautnah ihre Vergangenheit, erfährt wie sie aufgewachsen ist und welches Geheimnis ihr eigenes Leben verbirgt. Antje Wagner hat sich zwei sehr starke Handlungsstränge zurechtgelegt, die beide für sich gesehen sehr spannend und inhaltsstark sind, denn sie bieten Potenzial für jeweils ein eigenständiges Buch. In Kombination ist es fast schon zu viel, insbesondere da die Autorin innerhalb der Kapitel sehr oft zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin- und herspringt. Manchmal bestehen die jeweiligen Abschnitte nur aus wenigen Sätzen, manchmal wenigstens ein paar Seiten. Aus diesem Grund baut sich leider fast keine Spannung auf, denn kaum hat man sich beispielsweise in die Geschichte hineingedacht und ist von den Ereignissen des Hauses Waldkauz fasziniert, wird man herausgerissen und ist plötzlich wieder in der Vergangenheit von Katrina. Diese ist natürlich nicht unspannend, sondern birgt gänzlich eigene Geheimnisse und Gefahren, doch gerade am Anfang stören diese Wechsel den Lesefluss unheimlich. Kaum ist Spannung da, wird diese gebrochen und man fühlt sich um die Erklärungen betrogen. Auch ist der Anfang im Kartoffelparadies zu lang, weil im Grunde nur wenig passiert und auch diese Ereignisse innerhalb einer wechselnden Rückblende erzählt werden, anstatt chronologisch. Das macht gerade den Einstieg sehr zäh und langweilig.
Zum Ende hin wird das glücklicherweise besser, da dann beide Plots sehr spannend sind und man sowohl wissen möchte, was in der Vergangenheit von Katrina vorgefallen ist, als auch hinter die Geheimnisse von Haus Waldkauz kommen möchte. Zum Ende hin wirken die Erklärungen zwar arg konstruiert und nicht gänzlich schlüssig, aber es bleibt spannend und mysteriös.
Der Hauptcharakter Katrina ist außergewöhnlich, denn sie ist eine sehr starke Persönlichkeit, die sich so gar nicht mit anderen Jugendbuchfiguren vergleichen lässt. Bedingt durch ihre Kindheit hat sie eine Menge ungewöhnliches Wissen angesammelt, gerade was die Pflanzen und Tiere, das Überleben in der Natur und ihre Affinität für Holz und das Arbeiten damit. Teilweise wirkt sie fast ein wenig zu belesen, denn man hat das Gefühl, es gibt nichts, was sie nicht kann – dabei ist sie gerade einmal volljährig. Auch scheint sie keinerlei Angst zu haben, zumindest sind ihr Reaktionen auf die Dinge, die im Waldkauz passieren, schon ein wenig seltsam.
Außer ihr gibt es leider nur wenige Nebenfiguren, die wirklich wichtig sind und von denen man mehr erfährt – von Katrinas Schwester Zoe, ihrem Vater und einigen Charakteren aus Katrinas Vergangenheit einmal abgesehen. Gerade in dem Plot, der in der Gegenwart spielt, gibt es niemanden, der wirklich stärker ins Gewicht fällt und den man tiefgehender kennenlernt. Zwar fasst Katrina Vertrauen zu Josefine, einer Wahrsagerin, doch warum das passiert, weiß man nicht so genau.
Wer auf einen queeren (Neben-)Plot hofft, wird dieses Mal leider enttäuscht – Katrina ist zwar anders als andere junge Frauen, aber man kann keinerlei queere Elemente in der Handlung entdecken.
Stilistisch legt Antje Wagner die Messlatte hoch, denn das gesamte Buch ist sprachlich auf sehr hohem Niveau – seien es die Beschreibungen, die Dialoge oder die Hintergründe, die Autorin versteht ihr Handwerk und schreibt fesselnd, emotional und sehr bildlich. Man kann sich gut in Katrina hineinversetzen, ist hautnah dabei, als sie Haus Waldkauz restauriert und durchlebt mit ihr ihre Vergangenheit. Antje Wagner hat zu Recht unzählige Preise und Stipendien gewonnen, denn sie versteht es realistische Geschichten mit unheimlichen, fantastischen Elementen auszuschmücken, ohne dass diese übertrieben wirken – wenngleich das Ende in „Hyde“ ein wenig seltsam daherkommt und nicht ganz an ihre anderen Bücher heranreicht. Nichtsdestotrotz ist „Hyde“ sehr fesselnd geschrieben und bietet etwas erfrischend Neues.
Fazit:
„Hyde“ ist ein stilistisch sehr gut geschriebenes Jugendbuch, das mit einer tollen, ungewöhnlichen Heldin und grundsätzlich spannenden Grundhandlungen punkten kann. Leider nehmen die vielen Zeitsprünge und Handlungswechsel der Geschichte spürbar die Dynamik und Atmosphäre, so dass gerade der Anfang des Romans sehr langatmig ist und auch im Verlauf des Buches einiges an Spannung verloren geht. In Kombination mit dem etwas seltsamen Ende und der Auflösung des großen Geheimnisses, ist „Hyde“ daher nicht so gut, wie andere Bücher der Autorin. Wer Antje Wagners Romane mag, sollte nichtsdestotrotz einen Blick in „Hyde“ werfen und sich selbst ein Urteil bilden.