Hallo ihr Lieben,
wie angekündigt kommt heute der zweite Zitate-Freitag zur “Like a (bad) Dream”-Anthologie – 9 weitere Kurzgeschichten werden mit jeweils zwei kurzen (manchmal längeren) Zitaten vorgestellt. Der erste Part ist hier zu finden – also schaut vorbei, wenn ihr diesen Zitate-Freitag verpasst habt. Wer es ausführlicher mag, kann natürlich auch einen Blick in die Leseproben der einzelnen Kurzgeschichten werfen – diese sind ausführlicher und bieten einen perfekten Einstieg in jede Geschichte.
Nun erstmal viel Spaß mit den Zitaten 🙂
Bestellen: Amazon
Noah war ganz sicher genauso reif und intelligent wie die anderen, ebenso wenig war er naiv, doch diese Reaktionen hatten ihn total überrascht. Als sie von der Ethiklehrerin die Aufgabe gestellt bekamen, ein Vorbild vorzustellen, war es für ihn selbstverständlich gewesen, Fred und Georg auszuwählen. Sie waren die liebevollsten, geduldigsten, herzlichsten Menschen, und, was schwerer wog, auch die klügsten und gebildetsten, die er kannte.
“Like a (bad) Dream”, Der Geschmack des Kusses (c) Jannis Plastargias
„Und als es in Frankfurt noch zu den Studentenunruhen und Häuserbesetzungen kam“, begann Georg weiterzuerzählen, „gestattete mir mein Vater keine Ausflüge mehr zu Fred. Es sei zu gefährlich …“
„Hast du da mitgemacht, Fred?“, wollte Noah wissen. Er brannte darauf, mehr davon zu erfahren.
„Natürlich, mein Junge!“, antwortete Georg mit einem Schmunzeln an Freds Stelle. „Er hat überall mitgemacht, um für das einzutreten, an das er geglaubt hat. Er war sogar bei der Gruppe dabei, die die erste Schwulen-Demo in Frankfurt organisiert hat.“
“Like a (bad) Dream”, Der Geschmack des Kusses (c) Jannis Plastargias
Als ich unser Stockwerk erreiche, lehnt Feliz immer noch an seiner Wand. Er beobachtet mich, während ich den Gang entlangkomme.
»Du bist ganz nass«, bemerkt er. Sein Blick gleitet über meinen Körper, verharrt auf meinem Schritt. Sehnend. Ich weiß, dass er auf mich steht. In schwachen Momenten weiß ich auch, dass ich dafür verantwortlich bin. Doch darüber will ich nicht nachdenken.
“Like a (bad) Dream”, Copacabana Palace (c) Jobst Mahrenholz
›Retter‹ will er von mir genannt werden. Er sei evangelikal, erklärt er, als sei das für mich von Bedeutung. »Ein guter, reiner Christ auf einem guten, reinen Weg mit Zukunft. Ein Weg mit dem Herrn. Der einzig gangbare Weg.« Er sei tief gläubig, von Gott gesandt, ein Retter. Es ist ihm wichtig.
Okay – nenne ich ihn also ›Retter‹.
Er wolle das alles hier nicht, versichert er.
Und dann, dann nennt er mich – verloren.
Ich stutze, begreife im selben Moment, dass es kompliziert wird. Seine Stimmlage sagt es mir, ehe seine Worte mich erreichen.
“Like a (bad) Dream”, Copacabana Palace (c) Jobst Mahrenholz
Er wollte die Einladung wieder wegwerfen, aber etwas hielt ihn davon ab. Wir sind jetzt doppelt so alt wie damals, durchfuhr es ihn. Wir haben noch einmal so viel Leben hinter uns. Den einen oder anderen Menschen aus seiner Schulzeit, den er ganz gern wiedersehen würde, gab es ja doch. Aber wer garantierte ihm, dass ausgerechnet diese Leute auch auftauchen würden? Wenn nicht, was dann? Allenfalls ein verschwendeter Abend. Es gab Schlimmeres. Und eigentlich hatte er nichts zu verbergen.
»Bitte gib eine Rückmeldung per E-Mail, ob du teilnehmen kannst oder nicht«, stand in der Einladung.
Raphael stieß ein tiefes Seufzen aus und öffnete die E-Mail-App auf seinem Handy. Klassentreffen. Warum eigentlich nicht?
“Like a (bad) Dream”, 18 Jahre später (c) Jona Dreyer
»Hast du einen Partner?«, fragte Till unvermittelt, als hätte er seine Gedanken gelesen.
»Nein. Wie bereits bei meiner Vorstellung gesagt, ich bin Single.«
Er schluckte vernehmlich. »Dich zu verlassen, war der größte Fehler, den ich je gemacht habe«, raunte er kehlig.
Und du kannst froh sein, dass ich nie aufgehört habe, etwas für dich zu empfinden, dachte Raphael, sonst würde ich dir hier und jetzt eins in die Fresse hauen. Die Spannung zwischen ihnen war kaum noch zu ertragen. Sie vibrierte und surrte in seinen Ohren, machte die Luft beinahe zu schwer zum Atmen.
“Like a (bad) Dream”, 18 Jahre später (c) Jona Dreyer
Ein seltsames Gefühl flammte in Nazar auf, gepaart mit einem warmen Prickeln im Magen. Der Fremde kam ihm bekannt vor, obwohl er sich ziemlich sicher war, ihm noch nie begegnet zu sein. Nichtsdestotrotz blickte er nicht zum ersten Mal in diese dunklen Augen. Ein Schauder rann über Nazars Rücken. Dieser Mann brachte eine Saite in ihm zum Klingen, die sein ganzes Leben lang geschwiegen hatte.
Er schüttelte die wirren Gedanken ab und musterte den Mann eingehender. War er ein Feind, ein Verbündeter der Schatten? Auf seiner Brust war zumindest kein verräterisches, rot leuchtendes Symbol zu sehen. Dennoch war er wachsam und würde den Fremden nicht unterschätzen.
“Like a (bad) Dream”, Zwillingsturm (c) Juliane Seidel
Obwohl Nazar mit einem Kuss gerechnet hatte, fühlte er sich überrumpelt, als Kiama den letzten Abstand überbrückte und seine Lippen auf Nazars presste. Im ersten Moment wollte er zurückweichen, doch Kiama ließ ihm keine Möglichkeit. Die Hand in seinem Nacken hinderte ihn daran, den Lippen des Fremden zu entfliehen. Stattdessen vertiefte Kiama den Kuss, wurde fordernder und leidenschaftlicher. Ein Keuchen entwich ihm, das Kiama sofort nutzte, um mit der Zunge in seinen Mund zu tauchen. Ein warmes Kribbeln breitete sich in seinem Magen aus, je wilder Kiama mit seiner Zunge spielte. Nie zuvor hatte sich ein einfacher Kuss so gut, so erregend angefühlt. Nazars Verstand war schon längst verglüht – er fühlte nur noch. Hände, die über seine Schultern wanderten, Lippen, die sich von ihm lösten und fordernd auf seinen Hals gedrückt wurden. Er schloss die Augen und stöhnte auf, als Kiama ihm sanft ins Ohrläppchen biss.
„Erinnere dich an uns“, hauchte Kiama.
“Like a (bad) Dream”, Zwillingsturm (c) Juliane Seidel
Vor ihm stand Lettner. Darauf konnte er Eide schwören, auch wenn er wegen der Dunkelheit lediglich die sportliche Statur erkannte. Bedauerlich. Lettner war ein attraktiver Mann.
»Die Armbanduhr ist vermutlich ein Chronograf und würde jeden Dieb erfreuen. Da ich jedoch kein Dieb bin, ist sie mir gleichgültig.« Er hatte nie viel für solche Dinge übriggehabt.
Lettner neigte den Kopf. »Wer sind Sie dann?«
»Mein Name ist Harke Wendland. Ich bin geschäftlich hier.« Den Zielen stand die Wahrheit zu. Immerhin ging es um die letzten Momente ihres Lebens.
»Und was ist das für ein Geschäft?«
»Ich wurde beauftragt, Sie zu töten.«
“Like a (bad) Dream”, Achtzehn Gründe (c) S. B. Sasori
»Würde es dir gefallen, mich zu ficken?«, fragte Phil so vorsichtig, als gehörte allein die Frage bestraft. »Es wäre für mich ein Grund, meinen Tod zu bedauern.«
»Es wäre für dich ein Grund, unter keinen Umständen sterben zu wollen.« Er beherrschte sein Metier. Im Lieben und im Sterbenlassen. »Du würdest mich wie die meisten meiner Ziele um Gnade anflehen, statt die Arme auszubreiten und den Tod geschehen zu lassen. Nur, weil ich dich gevögelt habe.«
Phil starrte ihn an. »Du bist so gut?«
»Ich bin brillant.« Ein Zusammenspiel von Training und Hingabe an die Situation. Im Prinzip war es simpel.
»Arrogantes Arschloch.« Phil grinste.
“Like a (bad) Dream”, Achtzehn Gründe (c) S. B. Sasori
Er und du.
Levin und …
Ehe du anfangen kannst, zu zweifeln, überbrückt er den letzten Schritt zu dir und umarmt dich. Seine Lippen auf der empfindlichen Haut deines Halses lassen dich schaudern und leise seufzen. Bestimmend dirigiert Levin dich hinüber zu der schmalen Pritsche. Trotz Luxuskabine ist der Platz mehr als begrenzt und Vickys Reisetasche steht wieder mal direkt zwischen den beiden Betten. Levin stolpert. Lacht, während er fällt und dich mit sich zieht. Gemeinsam landet ihr auf der Matratze, die dir heute Morgen noch viel zu hart erschienen ist.
Von unten herauf blinzelt Levin dich an. In seinen dunklen Augen spiegeln sich deine. Blau in Braun. Hatte er nicht vorhin noch …? Hattest du nicht …?
“Like a (bad) Dream”, LeFantasme (c) Svea Lundberg
»Eine Leiche«, wispert sie dir zu, ihr Blick huscht fahrig umher, »man hat eine Leiche unter Deck gefunden, und niemand weiß, wer sie … Sie müssen die Tür abschließen, hören Sie?«
Sekundenlang stehst du wie angewurzelt. Siehst die Frau nur an. Registrierst nur schleichend deinen immer härter gegen deinen Brustkorb trommelnden Herzschlag. Deinen rascher werdenden Atem. Den Schweiß, der dir kalt über den Nacken rinnt.
Ehe du begreifst.
Du schlägst die Tür hinter dir zu. Sperrst mit bebenden Fingern ab. Lehnst dich von innen dagegen. Lauschst. Schnappst nach Luft.
Vicky! Wo ist Vicky?
“Like a (bad) Dream”, LeFantasme (c) Svea Lundberg
Heute weiß ich, dass es von Anfang an deutliche Signale gab. Eins davon zieht sich, wenn man weiß, worauf man achten muss, wie ein Tapetenmuster durch meine gesamte Verliebtheitshistorie: Nichts entfachte meine Leidenschaft so sehr wie die Unerreichbarkeit des anderen. Die tiefsten Gefühle hatte ich nicht für die Jungs aus unserer Schule, für meinen Klavierlehrer oder für Noras ziemlich gut aussehenden älteren Bruder, sondern für Schauspieler, Popstars, Comicfiguren und sogar für Romanhelden.
“Like a (bad) Dream”, Wunschlos verliebt (c) T. A. Wegberg
Ich schwieg. Das Dröhnen in meinen Ohren wurde lauter, aber es wechselte die Tonart. Diese Worte erkannte ich wieder: Es waren meine eigenen. Ich hatte sie zu Jerik gesagt, zu Till, zu Patrick und den anderen. Plötzlich wurden sie zu meinem Echo, und Vincents in Abwehrhaltung zusammengekrümmter Körper wurde zu meinem Spiegelbild. In Vincent erkannte ich mich selbst. Zwei Teile eines vollkommenen Ganzen.
Wir würden uns nicht trennen.
Wir hatten einander soeben erst gefunden.
“Like a (bad) Dream”, Wunschlos verliebt (c) T. A. Wegberg
Jeder sah Heinrichs Fähigkeit, Gefahren zu wittern und sie alle am Leben zu erhalten, als normal an, dabei hatte er sie sich mit seinem Leben und auf Kosten seiner einstmaligen Schönheit brutal erkauft. Die kurze Welle Zorn verebbte. Bis auf ihn kannte niemand Heinrichs Geheimnis. Besser, es blieb dabei. Er presste die Kiefer aufeinander, bis scharfe Stiche in Wangen und Nase zogen.
Von irgendwo über ihm kam das Brummen und Knattern von Propellern … Er zucke zusammen. Welche Maschinen waren es? Überall ließen die Männer ihr Essgeschirr fallen und griffen nach den Gewehren. Die ersten schnallten die Helme fest und stürzten zu den Leitern.
“Like a (bad) Dream”, Bestie (c) Tanja Meurer
Konrad klammerte sich an den Gedanken, dass Heinrich immer noch mehr Mensch als Jäger war. Aber er hatte die Lippen zurückgezogen, sodass sein unmenschliches Raubtiergebiss zu sehen war. Rinnsale aus Schweiß und Regen zogen bleiche Linien in die Maske aus blutigem Schlamm, nur nicht dort, wo die Krallen ihm damals das Fleisch aufgerissen hatten. Heinrich war zu der Bestie geworden, die er nie sein wollte. Konrad konnte den Schmerz nicht mehr zurückhalten. Er heulte auf. In dem Augenblick packte Heinrich seinen Arm und zerrte ihn zu sich. Die Gewalt in der Geste brach jeden Gedanken an Widerstand. Heißer Atem berührte seien Wange und sein Ohr. Konrad hörte Worte, wusste, was sie bedeuteten, aber sie verloren sich, ohne hängen zu bleiben. Dennoch blieb ein erdrückendes Gefühl zurück, in dem etwas Schreckliches lauerte.
“Like a (bad) Dream”, Bestie (c) Tanja Meurer
In blutroten Leuchtlettern steht der Name über der Tür: Schlangengrube. Die einzelnen Buchstaben sind wenig fantasievoll aus den namensgebenden stilisierten Reptilien geformt. Einladend wirkt es nicht. Die Tür, über der der Namenszug prangt, ist ein tief in eine dunkelgraue Betonwand eingelassenes Rechteck ohne Fenster. Ohne Klinke oder Klingel. Auch die Straße, an der dieses Etablissement liegt, ist wie ausgestorben. Kein Auto fährt, kein Passant geht vorbei, nirgendwo ein Geräusch, nicht einmal ein bellender Hund, der zu später Stunde ausgeführt wird. Alle Fenster in der Umgebung sind dunkel, die Bäume kahl – dabei fühlt es sich zu warm für Winter an – und die Straßenlaternen werfen einen mattgelben, leicht schwefeligen Schein. Ich sehe mich um und kann mich des Eindrucks nicht erwehren, schon einmal hier gewesen zu sein, aber das ist mehr das Gefühl eines Déjà-vus als eine Erinnerung.
“Like a (bad) Dream”, Die Schlangengrube (c) Thomas Pregel
Und da weiß ich, dass ich betrogen worden bin. Ich verstehe wieder, wo ich bin, wo man mich hingebracht hat. Ich kann mich an meine Festnahme erinnern, an die öffentliche Zurschaustellung, damit sich der Pöbel unter den wachsamen Augen des neuen Regimes an mir abreagieren kann, an den Schauprozess … Nur an das Urteil kann ich mich immer noch nicht erinnern. Der Richterspruch bleibt im Nebel der mir verabreichten Drogen verborgen. Das ist auch nicht weiter wichtig, denn dafür weiß ich etwas anderes wieder: Ich bin in höchster Gefahr!
“Like a (bad) Dream”, Die Schlangengrube (c) Thomas Pregel
Damit ist der 2. Zitate-Freitag zur “Like a (bad) Dream” Anthologie schon vorüber und ihr habt einen Einblick in alle 18 Geschichten erhalten. Ich hoffe, den ein oder anderen habe ich neugierig auf die Benefizanthologie gemacht – es würde mich freuen, wenn ihr Lust habt, mehr zu den Geschichten zu erfahren.
Liebe Grüße,
Juliane