Autorin: Ria Winter
Taschenbuch: 284 Seiten
ISBN-13: 978-3551302496
Preis: 3,99 EUR (eBook) | 12,99 EUR (Taschenbuch)
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Story:
Seitdem das Volk der Lumi von einem verfeindeten Clan niedergemetzelt und aus ihren Ländern vertrieben wurden, haben sich die Überlebenden in einem Tal ein neues Leben aufgebaut. Beschützt von drei Schamanen, die die Toten wieder auferstehen lassen. um die Pässe ins Tal zu bewachen, ist für die Lumi ein halbwegs normales Leben möglich. Die junge Inari lebt mit ihrer Mutter im Tal, ihr Vater kam einst bei einem Unfall ums Leben und bewacht seitdem wie die anderen Toten einen der Pässe. Das ändert sich als ihr Vater eines Tages vor ihr steht – stumm zwar, doch er scheint sie zu erkennen und sich immer mehr an sein Leben zu erinnern. Getriebe davon, herauszufinden, was passiert, beginnt Inari nachzuforschen und stößt dabei nicht nur auf das große Geheimnis der Schamanen, sie muss auch erkennen, dass das Tal im Begriff ist zu sterben. Und das selbst auf ihrer Herkunft ein Geheimnis liegt …
Eigene Meinung:
„Tal der Toten“ ist das Debüt von Ria Winter, die mit der fantastischen Geschichte um Inari und ihre Freunde den dritten Platz des Schreibwettbewerbs von tolino media und Impress erreichte. Zudem war der Roman für den Seraph-Phantastikpreis 2020 in der Kategorie Bestes Debüt nominiert. Die in sich abgeschlossene Geschichte erschien als eBook im August 2019, das Taschenbuch folgt im März 2020.
Die Geschichte beginnt spannend und kann von Anfang an fesseln. Man ist direkt im Geschehen und erlebt die Ereignisse an Inaris Seite. Man lernt die verschiedenen Charaktere durch sie kennen und ist stets auf demselben Wissensstand wie sie, wodurch man schwer einschätze kann, wohin die Reise geht. Das ist einerseits durchaus positiv, da man definitiv nicht weiß, wohin Ria Winter den Leser entführen will; andererseits hat die Geschichte gerade dadurch einige Längen im Mittelteil. Die Handlung ist gut durchdacht und überraschend komplex – auch der Switch am Ende ist sehr gelungen, da nahezu alle offenen Punkte aufgeklärt werden und keine Frage offen bleibt. Ria Winter legt eine gut strukturierte und perfekt abgestimmte Geschichte vor, die sich gut lesen lässt und in eine Fantasywelt entführt, die weder mit fremden Wesen noch mit den klassischen Magiern, Kriegern und großen Herrschen aufwartet. Stattdessen bekommt man eine typisch mittelalterliche Welt, in der Magie durch Schamanen gewirkt wird und gänzlich anders funktioniert als in den meisten Fantasyromanen. Der solide Plot kommt ohne große Kriege, Kämpfe und Intrigen aus, was ein Pluspunkt ist, das sich die Autorin ganz auf die internen Probleme der Lumi konzentrieren kann – dazu gehören neben den Geheimnissen des Tals auch Rassismus gegenüber Angehörigen des verfeindeten Clans, die sich den Lumi angeschlossen haben.
Ein weiterer Pluspunkt ist die queere Komponente, die die Autorin ohne viel Drama und Aufhebens in die Handlung integriert – es ist schön, dass in „Tal der Toten“ vollkommen egal ist, wer wen liebt. So ist Inaris Vorliebe für Frauen keine große Sache, sondern für die Bewohner des Tals etwas normales. Dadurch erspart die Autorin dem Leser den typischen Konflikt queerer Helden mit Coming-Out und allen weiterführenden Problemen.
Die Charaktere sind angenehm bodenständig und wenig heldenhaft – sie sind weder besonders mächtig noch kriegerisch stark. Dadurch kann man sich sehr gut in Inari hineinversetzen und kann ihre Gedanken und Gefühle hautnah miterleben. Sie ist nicht die klassische Heldin, sondern hat durchaus Fehler, was sie nur noch greifbarer und realistischer Macht. Auch die tragenden Nebencharaktere sind toll in Szene gesetzt und handeln nachvollziehbar. Sei es die junge Schamanin Nea, die das Tal schützen und dem Erbe ihrer toten Mutter gerecht werden will, Inaris Mutter, die das Haus nicht verlässt oder die Dorfbewohner, die jeder auf seine Art mit den Ereignissen umgehen müssen – Ria Winter gelingt es auf wenigen Seiten ihre Figuren zum Leben zu erwecken.
Stilistisch kann Ria Winter ebenfalls überzeugen – sie hat einen sehr fesselnden, lebendigen und angenehm lesbaren Schreibstil, der stets nah bei der Hauptfigur ist. Die Beschreibungen des Tals sind ebenso fesselnd wie die Einblicke in Inaris Gefühls- und Gedankenwelt oder die Dialoge zwischen den Charakteren. Wer auf eine gefühlvolle, dramatische Liebesgeschichte hofft, wird jedoch enttäuscht werden – die lesbische Liebesbeziehung ist zwar für die Handlung wichtig, jedoch nicht so emotional tragend. Sie ist eher schlicht gehalten um die eigentliche Geschichte nicht zu hemmen und auszubremsen.
Fazit:
„Tal der Toten“ ist ein gelungener Fantasyroman mit lesbischer Heldin, der durch tolle, angenehm bodenständige Charaktere, eine gut durchdachte Handlung und einem flüssigen, fesselnden Schreibstil besticht. Wer ungewöhnliche Fantasyromane sucht, bei denen der Fokus auf der Handlung und den Figuren liegt, ist mit dem Debüt von Ria Winter gut beraten – Fans von romantischen, queeren Liebesgeschichten in einem fantastischen Setting werden mit „Tal der Toten“ wahrscheinlich weniger glücklich – dafür bleibt die Liebesbeziehung zu sehr im Hintergrund. Nichtsdestotrotz empfehle ich, dem Buch eine Chance zu geben – es lohnt sich.