Vom 07.-10.07.2022 fand in Köln das zweite Lifest “homochrom” statt, auf dem insgesamt 36 queere Lesungen von deutschsprachigen Autor*innen und 2 Podiumsgespräche stattfanden. Like a Dream war vor Ort und hat sich ein Bild über die Veranstaltung gemacht, viele spannende Lesungen besucht und Interviews geführt. Nun da die Lesungen auch online als Videomitschnitt und Podcast verfügbar sind, sprich jeder, der neugierig geworden ist, selbst reinschalten kann, wird es Zeit meine Eindrücke zu schildern.
Unterstützt und gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft der Landes Nordrhein-Westfahlen und der Kunststiftung NRW hat Organisator Martin Wolkner mit dem Litfest homochrom eine beeindruckende Veranstaltung auf die Beine gestellt, das nicht nur in verschiedenen Veranstaltungsorten stattfand, sondern Interessierten auch ein buntes, queeres Programm bot, in dem alle Facetten des Regenbogens einen Platz gefunden haben. Sämtliche Lesungen war frei zugänglich – es wurde um Spenden gebeten, um auch im kommenden Jahr ein Litfest auf die Beine stellen zu können. Zudem wurde der Publikumspreis Chromie in den Sparten “Nachwuchs”, “Roman” und “Kurzgeschichte” vergeben.
Der Auftakt fand am Donnerstag Abend im gut besuchten anyway Köln statt. Zu Gast waren die Autor*innen Juliane Seidel, die aus ihrer Kurzgeschichte »Der goldene Ritter« las, Anne Schelzig die ihren Roman »Nicht die Liebe macht blind, sondern die Suche danach« vorstellte und Hansjörg Nessensohn, der mit seiner Lesung aus »Mut. Machen. Liebe.« Chromie-Gewinner in der Kategorie “Roman” wurde. Im Anschluss an die Lesungen gab es eine rege Podiumsdiskussion zum Thema queere Texte für Jugendliche und junge Erwachsene.
An den folgenden Tagen fanden weitere Lesungen im Filmforum des Museums Ludwig statt, sowie im neu eröffneten Cafe Bach der Aidshilfe Köln. Die schiere Masse an Veranstaltungen machte unmöglich, jede einzelne zu besuchen, zumal einige Lesungen leider parallel stattfanden. Die Entscheidung, welche Veranstaltung man besuchen sollte, fiel schwer, zusätzlich waren bei einigen Lesungen (z.B. sonntags im Café Bach) nur wenige Besucher*innen. Da gerade der Sonntag ein eher unliebsamer Zeitpunkt für Lesungen ist, wäre es für die Organisation eine Überlegung, im kommenden Jahr auf Parallelveranstaltungen zu verzichten. Ein kleiner Trotz für die Besucher*innen bleibt jedoch die Option, sich alle Veranstaltungen im Nachhinein auf Youtube anzusehen, denn sämtliche Lesungen der homochrom 2022 wurden von einem professionellen Kamerateam aufgenommen.
Alle Lesungen findet ihr hier:
Nichtsdestotrotz konnte die thematische Auswahl der Lesungen überzeugen, denn Martin Wolkner hat sich bemüht, allen queeren Genres einen Platz einzuräumen – von schwul und lesbisch, über transgender bis hin zu intergeschlechtlich, pansexuell und nonbinary war thematisch alles vertreten. Besonders schön waren die Lesungen von Chromie-Gewinner (Kategorie “Nachwuchs”) Dima Lubimov, der erstmals vor Publikum aus seinem Debütroman “Liebe mit gesenktem Blick” gelesen hat, Julana & Justin Gleisenberg, die das Trans-Kinderbuch “Julana – Endlich Ich!” sowie das sich in Arbeit befindende Begleitbuch vorgestellt haben, und die Präsentation der Graphic Novel “Parallel” von Matthias Lehmann mit einem Kinoprojektor und kurzer Diskussion zum Entstehungsprozess. Auch die üblichen Lesungen boten außerhalb der queeren Themenwelten eine spannende Mischung – Fantasy, Krimi und Liebesroman, Sachbuch, Reiseblog-Geschichten und autobiografische Texte: den Besucher*innen wurde einiges geboten. Spannend war auch das zweite Schwerpunktthema am Samstag: queeres Christentum, zu dem neben Buchvorstellungen auch eine Podiumsdiskussion gehörte.
Einige Eindrücke des Litfestes homochrom:
Im Rahmen der Veranstaltung konnte ich Martin Wolkner für ein kurzes Interview gewinnen, das ich euch nicht vorenthalten möchte – vielen Dank an dieser Stelle an den Organisator von homochrom für die Beantwortung der Fragen am Festivalsonntag:
Juliane: Zuerst die klassische Frage zum homochrom-Literaturfestival: Wie ist das Litfest überhaupt entstanden oder wie bist du darauf gekommen? Warst du das allein oder arbeitet im Team? Wie kamst du dazu?
Martin: Das sind eigentlich drei Fragen.
Zum einen hatten wir als homochrom schon Festival-Erfahrung. Wir hatten ja 8 Filmfestivals gemacht bzw. 9 Jahre eine schwul-lesbische Filmreihe mitorganisiert. Dann war durch die Neustart-Kultur-Fördergelder, jetzt die Corona-Förderung, Geld da. Ich bin selbst Autor und finde es toll, mich zu vernetzen. Ich habe nicht viele Möglichkeiten gesehen, wo queere Texte [Anm.: im Buchhandel, auf Messen, etc.] positioniert sind. Man kann sie höchstens durch Lesungen oder dergleichen entdecken. Es war einfach die Idee, etwas Neues auf die Beine zu stellen, wo die Autor*innen in einer Krisenzeit, in der sie weniger Lesungen hatten, verstärkt Möglichkeiten bekommen sollten, ihre queeren Texte, unterstützt durch Fördergelder, vorzustellen und sich untereinander vernetzen können. Also ich kenne es vor allen Dingen so, dass man als Autor viel in seinem stillen Kämmerlein sitzt und für sich selbst schreibt, dann vielleicht Kontakt mit einem Verlag oder Lektorat hat – wenn überhaupt – und ansonsten nur dann mit dem Publikum ins Gespräch kommt, wenn sie eine Lesung halten. Aber bei Lesungen mit queeren Texten handelt es sich eher um kleinere, selbstorganisierte Veranstaltungen. Viele kleinere Verlage und Selfpublisher werden nicht zu großen Festivals eingeladen. Ich wüsste nicht, dass Texte aus dem Querverlag oder dem Ylva Verlag bei Festivals wie z.B. dem lit.COLOGNE eingeladen worden sind. Deswegen war mein Ziel, Autor*innen eine Möglichkeit zu geben, sich zu präsentieren, untereinander kennenzulernen und auch ein bisschen von den Corona-Förderungen zu profitieren.
Juliane: Sehr schön. Und das machst Du wirklich ganz allein? Wir kennen jetzt nur dich. Gibt es im Hintergrund noch andere, die das alles mitorganisieren?
Martin: Wir sind ein kleiner Verein, uns unterstützen daher noch ein paar Leute. Da wäre z.B. Uta, die den Einlass macht. Sie ist Mitglied bei uns im Verein. Michael, mein Vorstandskollege, unterstützt mich viel, ist aber parallel auch mit einem anderen Projekt beschäftigt: dem Zeitzeug*innen-Projekt. Wir hatten vor einer Woche eine schöne Filmveranstaltung mit Publikumsgespräch und drei Filmgästen. Das waren Ralph Morgenstern und noch zwei anderen Darstellerinnen. Das geht auf seine Kappe.
Wir teilen die Projekte untereinander ein bisschen auf. Ich habe homochrom gegründet und es als Filmreihe 9 Jahre lang ehrenamtlich organisiert. Ich hatte damals ein bisschen grafische Unterstützung von einem Bekannten, aber ansonsten habe ich die komplette Filmreihe selbst organisiert. Später haben wir mit mehreren Leuten einen Verein gegründet, um das Litfest durchführen zu können und eine rechtliche Grundlage zu haben. Aber die hauptsächliche Leitungsarbeit lag immer bei mir. Ich habe die meiste Festival- und Orga-Erfahrung damit und das Litfest war mir als Autor ein persönliches Anliegen.
Juliane: Welche Projekte habt ihr noch? Gibt es etwas, das ihr gerne machen möchtet oder was gerade in Arbeit ist? Jetzt nicht nur das dritte Litfest, das hoffentlich wieder stattfindet, sondern habt ihr andere tolle Sachen in Arbeit ?
Martin: Ja, da haben wir einige Ideen. Wir sind gerade tatsächlich in Vorbereitung einen Podcast zu starten. Der ist noch nicht wirklich in die Wege geleitet, aber da arbeiten wir dran.
Und wir haben seit 2019 die Zeitzeug*innen-Reihe. Dabei trifft man sich mit Zeitzeug*innen in Kneipen oder anderen Veranstaltungsorten, und spricht mit ihnen und einem kleinen Publikum zwei Stunden lang über bestimmte Themen. Wir haben mit einem Betreiber der ersten Gay-Disco, dem Pimpernel, hier in Köln, gesprochen. An dem Tag war auch noch ein DJ aus der Zeit da. Wir haben uns mit den beiden unterhalten und das Gespräch aufgezeichnet, damit diese Stimmen nicht verloren gehen. In der deutschen, queeren Aktivist*innen-Szene wird viel gemacht, aber wenig dokumentiert. Wir kennen die ganzen amerikanischen Dokus, aber in Deutschland gibt es da leider nicht viel, weil es nicht so viele Archiv-Aufnahmen gibt. Die ganzen Beweggründe, die Geschichten, die es zu erzählen gibt, sind inzwischen in Gefahr [Anm. verloren zu gehen], weil die Leute älter werden, schon in die 70er gehen. Da sind bereits einige in der HIV- / Aids-Zeit verstorben. Und bevor jetzt die anderen Aktivist*innen vielleicht zu alt werden und nicht mehr ansprechbar sind, möchten wir so viel wie möglich sichern.
Das haben wir schon seit 2019 gemacht, hauptsächlich mein Kollege Michael. Ich habe teilweise moderiert oder mitgearbeitet. Da entstehen immer mehr Videoaufnahmen, die wir dann als Living Library auf einer eigenen Webseite veröffentlichen.
Juliane: Sehr schön, auch ein tolles Projekt.
Und das Filmprojekt, also das Filmfestival, das gibt es leider gar nicht mehr?
Martin: Das gibt es nicht mehr. Es gab verschiedene Punkte, warum es schwierig war und ich hatte letztendlich einfach keine Lust mehr, mich dafür einzusetzen.
Juliane: Kommen wir auf das Litfest zurück. Wie zufrieden bist du mit dem Litfest? Wie ist dein Gesamt-Resümee?
Martin: Ich bin sehr begeistert, dass die Stimmung wieder so freundlich war. Das hängt natürlich immer mit den Teilnehmer*innen zusammen. Man weiß letztendlich nie, wen man einlädt. Die Auswahl findet anhand der Texte statt, aber wie die Leute drauf sind, wie gut sie sich verstehen, wie gut – oder auch nicht gut – sie vortragen können, das weiß man ja selbst nicht. Wir schauen uns im Vorfeld nicht an, ob es schon zehn Lesevideos gibt und wie sie dabei vortragen. Das ist wirklich anhand der Texte ausgewählt. Von daher ist es immer wieder eine Überraschung, wer kommt und wie sie sich untereinander verstehen.
Wir haben dieses Jahr Glück gehabt, dass es wieder eine echt schöne Atmosphäre war. So wie ich es empfinde und es mir angetragen wird, ist es für alle Teilnehmer*innen eine schöne Erfahrung und das freut mich sehr. Ich veranstalte homochrom nicht ausschließlich für das Publikum. Mir geht es nicht darum, dass hier vor Ort Hundertschaften im Publikum sitzen. Mir geht es vor allem darum die Autor*innen zu unterstützen, neuen Lesemöglichkeiten zu eröffnen und mit den Videoaufzeichnung auch ein etwas größeres Publikum anzusprechen. Es würde mich natürlich freuen, wenn sich mehr Leute dafür interessieren, aber das kann durch die Videoaufzeichnungen und Podcasts auch im Nachhinein wachsen.
Juliane: Was sind deine Wünsche für das nächste Jahr, gesetzt den Fall, das Lesefestival kann wieder stattfinden? Was würdest du gerne noch machen, vielleicht auch erweitern? Was kann genauso bleiben?
Martin: Aktuelle sind alle Autor*innen in einem Hotel untergebracht, wo es auch Tagungsräume gibt. Eine Überlegung wäre, eine kleine Messe zum Festival zu machen. Es gibt ja schon queere Buchmessen in Frankfurt und in Berlin, glaube ich. Hier im Westen gibt es sonst nicht viel. Insbesondere in NRW gibt es keine. Es wäre die Gelegenheit, sowohl die Autor*innen, als auch die Verleger*innen und vielleicht auch mehr Buchblogger*innen zusammen zu bringen. Das würde mir gefallen. Da müsste man mal gucken, ob das möglich ist.
Juliane: Das ist eine tolle Idee.
Martin: Mich würde es daher freuen, wenn man zukünftig mehrere Positionen – Blogger, Autoren, Verleger und so weiter – zusammen holt und hier einen Austausch ermöglicht. Ich hatte dieses Jahr mit den Bloggern versucht. Das hat leider nicht so ganz gefruchtet. Wir haben die Blogger leider nicht erreicht. Hier müsste man noch mal am Konzept arbeiten. Aber es gibt immer Sachen, die man erweitern oder verbessern kann. Man lernt jedes Mal draus und ich glaube dieses Jahr ist alles schon besser als letztes Jahr. Zum Beispiel die Aufnahme der Lesungen.
Juliane: Die sind sehr professionell. Hast du ein spezielles Team angeheuert?
Martin: Also letztes Jahr hatten wir jemanden, der in der Szene sehr aktiv ist. Er war auch früher beim CSD Demoleiter und ist bei uns Mitglied im Team. Er ist sehr gut ausgestattet was Streaming- und Videosachen angeht. Aber das ist eher ein Hobby von ihm. Da er leider dieses Jahr nicht konnte, musste ich ausweichen und habe bei verschiedenen Leute angefragt. Es ist natürlich eine gewisse Kostenfrage, aber letztendlich haben wir Antonio und sein Team gefunden. Sein Konzept beinhaltete den Schnitt und mehrere Kameraperspektiven. Es war einfach stimmig und wurde glücklicherweise von der Förderung, bei der die Filmaufnahmen zum Konzept des Festivals gehören, abgedeckt.
Juliane: Die Filmaufnahmen finde ich wirklich toll.
Martin: Hier in Köln wohnen viele Interessierte, wobei ich auch weiß, dass nicht viele davon zu den Lesungen kommen. Aber gibt ja die Videos. Man kann sie in drei Jahren gucken oder aber von Tansania aus – wenn man Deutsch kann. Es öffnet so viel mehr Möglichkeiten als eine Einzellesung vor 20 Leuten. Und wenn die Videos professionell gemacht sind und die Texte gut gelesen sind, dann ist es natürlich auch eine gute Visitenkarte. Die Autor*innen können sie nutzen und sagen: Hey, wollt ihr mich für eine Lesung buchen? Guckt euch das mal an. Das macht ein bisschen was her und deswegen bin ich auch froh, dass wir mit Antonio und seinem Bekannten zusammenarbeiten, insbesondere weil sie mehr Beleuchtung reingebracht haben. Das hatten wir letztes leider Jahr nicht.
Juliane: Kommen wir mal zu meiner letzten Frage: Das Litfest in drei Worten / in drei Begriffen / drei Schlagworten von dir. Welche 3 fallen dir spontan ein?
Martin: Ich schwanke zwischen familiär und freundschaftlich, abwechslungsreich und eine Entdeckungsreise.
Juliane: Gibt es sonst noch irgendwas was du loswerden möchtest?
Martin: *brummt*
Juliane: Mehr Spenden?
Martin: *lacht* Unterstützt eure Autor*innen.
Juliane: Unterstützt das Festival!
Ihr wollt das Litfest unterstützen? Der Verein freut sich über Spenden, damit es im kommenden Jahr ein weiteres homochrom geben kann. Alle Infos findet ihr auf der Homepage des Vereins: