Autor: Maria Braig
Taschenbuch: 188 Seiten
ISBN: 978-3-95667-137-1
Preis: 4,99 EUR (eBook) | 11,80 EUR (Taschenbuch)
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Story:
Kurz nach ihrem 18. Geburtstag entwickelt sich das Amras Leben in einen Albtraum. Obwohl sie in Deutschland geboren wurde, Freunde und einen Ausbildungsplatz besitzt, will man sie in den Kosovo abschieben, aus dem ihre Eltern vor ihrer Geburt geflohen sind. Alle Kämpfe, Klagen und öffentliche Kampagnen nützen nichts – Amra kommt in ein Land, wo sie weder die Sprache beherrscht, noch dem sie sich verbunden fühlt. Ihre Zuflucht ist der Bruder ihrer Mutter, bei dem sie unterkommt. Allerdings wird ihr schnell klar, dass Frauen im Kosovo keinerlei Rechte besitzen und als ihr Onkel sie verheiraten will, läuft sie weg, um auf eigenen Beinen zu stehen. Um zu überleben gibt sich das knabenhafte Mädchen als Junge aus und nennt sie sich fortan Amir …
Eigene Meinung:
Mit „Amra und Amir“ schneidet Maria Braig gleich zwei brisante Themen an: Transgender und Flüchtlinge. Gerade letzteres wird sehr ausführlich umschrieben und dargelegt, da sich die Autorin vorwiegend mit der Thematik Flucht, hiesige Asylverfahren und dem Leben von Flüchtlingen auseinandersetzt. Doch auch Amras/Amirs Schwanken zwischen Mann/Frau machen einen großen Teil der Geschichte aus.
Inhaltlich entwirft Maria Braig ein wahres Horrorszenario für die junge Amra. Auf knapp 200 Seiten schildert sie Amras Abschiebung, ihr Leben im Kosovo und die Probleme, die sie bewältigen muss. Dass es die junge Frau nicht leicht hat, insbesondere weil sie eher wie ein junger Mann denkt und fühlt, wird schnell klar. Zwar arrangiert sie sich mit den Gegebenheiten und schafft es auf eigenen Beinen zu stehen, sieht jedoch keinerlei Zukunft für sich und ihr Leben. Als ihre Freunde Nina und Stefan auch noch zu Besuch kommen und ihre Situation sehen, wird es fast unerträglich für Amra (zumal sie Nina auch noch näher kommt). Doch ein Leben in Deutschland im Schatten der Legalität ist alles andere als einfach …
Was dem Buch fehlt ist die Nähe zu den Figuren und ein wirkliches Eintauchen in die Handlung. So spannend die Thematik sein mag und so realistisch die Autorin das Szenario aufgebaut hat (im Nachwort schreibt sie, dass etliche Dinge zum großen Teil auf wahren Ereignissen beruhen), so schafft sie es doch nicht, dem Leser die Figuren näherzubringen. Dazu schreitet sie zu schnell voran, übergeht wichtige Szenen und Gespräche und fasst Schlüsselmomente zusammen. Man kann sich einfach nicht in die Charaktere hineinversetzen, da die Autorin keine Figur wirklich lebendig gestaltet. „Amra und Amir“ wirkt mehr wie eine Zusammenfassung, ein Tatsachenbericht (der einem zumeist unrealistisch vorkommt, da man nicht sagen kann, ob die Ereignisse wirklich so passieren könnten, oder übertrieben sind), der zwar von der Grundidee spannend ist, jedoch zu unpersönlich zu Papier gebracht wurde. Es fehlen einfach die Reaktionen der Charaktere, das Eintauchen in deren Gefühlswelten und eindringlichere Szenen. Das Buch schafft es zwar zum Nachdenken anzuregen, doch es berührt den Leser nicht, da dafür die persönliche Bindung zu den Charakteren fehlt.
Aus diesem Grund ist es auch schwierig die einzelnen Figuren zu begreifen und nachzuvollziehen. Amra/Amir ist ein toller Charakter, gerade ihre Ansichten bezüglich ihrer Sexualität und der Thematik Transgender ist interessant, doch es fehlt der Tiefgang. Maria Braig kratzt eher an der Oberfläche, wenn es um sie/ihn geht. Auch ihre Gedanken und Gefühle zum Thema Abschiebung und zu ihrem Leben im Kosovo werden kaum beleuchtet. Sicher, sie ist schockiert, entsetzt und panisch, aber der Leser fühlt diese Dinge nicht. Die übrigen Figuren sind noch blasser – Nina und ihre Gefühle sind nur schwer zu begreifen, und Amras Mutter ist ebenfalls kaum verständlich in Szene gesetzt. Da wird ihre Tochter abgeschoben und sie scheint nichts zu unternehmen – weder fährt sie zu ihrem Bruder und besucht Amra, noch reagiert sie, als ihre Tochter verschwindet. Man hat keine Ahnung, was in ihr vorgeht und warum sie nichts macht. Das betrifft auch das Coming-Out ihres Kindes: sie scheint die Schultern zu zucken und sieht darüber hinweg. Allgemein kommt mir Amras Outing zu einfach vor – kaum einer sagt etwas dazu, alle nehmen es wie selbstverständlich hin. Das ist zwar ein schöner Ansatz, wie es sein sollte, aber es entspricht nicht der Realität. Denn gerade Amra/Amirs Entscheidung hinsichtlich ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung werden nicht so leicht von der Umwelt aufgenommen.
Stilistisch ist „Amra und Amir“ gewöhnungsbedürftig. Die Autorin springt sehr oft zwischen den Perspektiven – mal erzählt Amra/Amir, dann Nina, Stefan, Amras Mutter oder unbedeutende Nebenfiguren, was es zusätzlich erschwert, sich mit den Figuren zu identifizieren. So schön die Ereignisse im Kosovo und Amras/Amirs Überleben geschildert sind und so sehr die Autorin mit ihren Beschreibungen schockiert und zum Nachdenken anregt, es fehlt einfach der Tiefgang. Die Themen sind toll gewählt und teils sehr gut umgesetzt, dennoch hat man das Gefühl, nur an der Oberfläche zu kratzen, weil man einfach nicht Teil der Geschichte ist.
Fazit:
Trotz aller Kritikpunkte ist „Amra und Amir“ ein Buch, das man allein wegen der Flüchtlingsthematik lesen sollte. Maria Braig berichtet von einem Schicksal, das in dieser Form wahrscheinlich jeden Tag in Deutschland passiert und den Leser zum Nachdenken anregt. Leider geht das Buch nicht tief genug um wirklich zu berühren – man ist schockiert, entsetzt und will helfen, aber man kann sich nicht mit Amra/Amir identifizieren. Dafür sind knapp 200 Seiten leider zu wenig. Schade – da hätte man mehr draus machen können.