Autor*in: Nathalie C. Kutscher
Taschenbuch: 224 Seiten
ISBN: 978-3947720330
Preis: 2,99 EUR (eBook) | 10,90 EUR (Taschenbuch)
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Story:
Dank der Unterstützung ihrer Schwägerin Melanie erfüllt sich das Leben der gutbürgerlichen Claire – sie darf in New York Kunst studieren, in den beginnenden 1920er Jahren für Frauen eine Seltenheit. Schnell freundet sie sich mit ihrer Kommilitonin Josephine an, die Claire nicht nur ins wilde Nachtleben mitnimmt, sondern auch Kontakte zu einigen zwielichtigen Männern und das ein oder andere Geheimnis hat. Claire lässt sich davon nicht abschrecken, insbesondere als die beiden Frauen eine leidenschaftliche Liebesbeziehung beginnen, die sie nur im Geheimen ausleben können. Als Josephines Beziehung zum Mafiaboss Vinnie de Marco in einer Katastrophe endet, flieht Josephine Hals über Kopf aus New York und lässt Claire mit einem erklärenden Abschiedsbrief zurück. Nur mühsam kommt Claire über ihre Verlust hinweg, beugt sich den Konventionen, heiratet und gründet eine Familie – ohne Josephine je vergessen zu können …
Eigene Meinung:
Mit „Claire“ legt Nathalie C. Kutscher einen historischen Frauenroman vor, der in den 20er Jahren anfängt und das Leben von Claire Sawyer bis in die 1960er Jahre hinein beschreibt. Auf 224 Seiten wird Claires Leben mit all seinen Höhen und Tiefen beleuchtet und gleichzeitig auch die Frauenrechtsbewegung beleuchtet, denn Claires Schwägerin ist sehr aktiv, wenn es darum geht für die Rechte der Frauen einzutreten und die zu unterstützen, denen das Leben zusetzt.
Die Geschichte beginnt in Clairas Heimatstadt und beleuchtet ihr Leben als Tochter einer gut betuchten Familie, die nur wenig Sorgen hat und deren Leben unter einem guten Stern steht. Sie darf in New York studieren, findet in ihrer Mitbewohnerin ihre große Liebe und hat sogar das Glück einen verständnisvollen, sehr reichen Ehemann zu finden und eine kleine Familie zu gründen, als Josephine sie verlässt. Wirklich viele Steine werden ihr nicht in den Weg gelegt, auch muss sie nicht wirklich um Josephine oder um ihre Stellung als lesbische Frau kämpfen, denn die Probleme bleiben zumeist „vor der Tür“. So toll die Geschichte vom Grundsatz her ist und so schön sie geschrieben ist, die Autorin verschenkt ein wenig Potenzial hinsichtlich der Spannung und Dramatik. Sicherlich ist es auch angenehm, das Claire so viel Glück hat (man muss ja nicht immer von dramatischen und verletzenden Ereignissen lesen), aber hin und wieder wäre es spannend gewesen, wenn Claire auch mal hätte kämpfen oder sich wirklich wehren müssen – gerade hinsichtlich der Frauenrechtsbewegung, die die Autorin geschickt mit einbaut. Auch bei anderen Dingen, die angesprochen werden (Rassenkonflikte, Mafia, Krieg) hat man das Gefühl außen vor zu bleiben, weil Claire zumeist außen vor bleibt. Sie ist fast nie direkt involviert, streift die Ereignisse nur am Rande, so dass auch der Leser diese Ereignisse nur als Randerscheinung wahrnimmt, ohne dass Nathalie C. Kutscher hier in die Tiefe geht.
Wen das nicht stört, bekommt einen schön geschriebenen, gut lesbaren Frauenroman präsentiert, der mehrere Jahrzehnte einer lesbischen Frau beleuchtet, die ihren Weg geht. Die Autorin beschreibt die Höhen und Tiefen der Heldin mal ausführlich und stark ausgeschmückt, mal zusammenfassend und mit wenigen Sätzen. Während der Anfang und die Jahre in New York einen großen Teil des Buches einnehmen, werden gerade die Jahre ohne Josephine nur stark gekürzt erzählt – obwohl auch diese interessant gewesen wären, insbesondere Claires Kampf als lesbische Frau mit einem Mann verheiratet zu sein. Erst als Josephine wieder auftaucht, werden die Szenen länger und detaillierter. Das ist schade, wenngleich man sich denken kann, warum Nathalie C. Kutscher sich dafür entschieden hat. Im Grunde hätte man mit der Lebensgeschichte von Claire Sawyer mehrere Romane füllen können – Potenzial war auf jeden Fall vorhanden.
Die Figuren sind sehr lebendig und sind liebevoll ausgearbeitet – natürlich trifft dies vorwiegend auf die weiblichen Charaktere zu, denn starke Frauen stehen nur einmal im Zentrum des Romans. Claire lernt man sehr gut kennen, kann sich gut mit ihr identifizieren und ist hautnah dabei, wenn sie sich vom unscheinbaren Teenager zu einer jungen Frau entwickelt und ihren Platz im Leben findet. Josephine ist ebenfalls sehr interessant, allerdings bleibt sie fast ein wenig blass – hier hätte man mehr rausholen können, gerade weil sie mit ihrer dunkleren Hautfarbe durchaus Probleme in New York haben dürfte (was im Roman jedoch nirgends erwähnt wird). Sicherlich hat sie mit einigen Problemen zu kämpfen, doch Claire (und damit auch der Leser) bekommt davon wenig mit. Am interessantesten dürfte Melanie sein, die nur am Rande vorkommt, aber ungemein willensstark und energisch ist. Sie kämpft für die Frauen, gründet eine Stiftung für alleinstehende Frauen und setzt sich für Schwächere ein – ein Buch über sie wäre wahnsinnig interessant und spannend gewesen.
Stilistisch gibt es nichts zu meckern – Nathalie C. Kutscher hat einen sehr schönen, gut lesbaren Schreibstil, der den Leser mitreißt und dafür sorgt, dass man das Buch sehr schnell liest. Die Ereignisse werden aus Claires Sicht in der Ich-Perspektive dargelegt, so dass man die Hauptfigur sehr gut kennenlernt und ihre Beweggründe gut nachvollziehen kann. Die Beschreibungen sind (passend zur Sichtweise einer Malerin) sehr blumig und ausschmückend – man erlebt gerade das New York der 20er Jahre hautnah und kann sich die Handlungsorte sehr gut vorstellen. Positiv ist auch, dass Nathalie C. Kutscher sich um historische Korrektheit bemüht hat, was man an den vielen kleinen Details merkt, die hin und wieder eingebaut werden. Das macht den Roman authentisch und realistisch.
Fazit:
Bis auf einige kleinere Schwächen ist „Claire“ ein schöner historischer Frauenroma, der mit tollen Figuren und einem sehr schönen Schreibstil punkten kann. Die Beschreibungen der Handlungsorte und die Zeit sind Nathalie C. Kutscher gut gelungen – man erlebt das New York der 20er Jahre hautnah und lernt Claire und die anderen Frauen sehr gut kennen. Hin und wieder wäre ein wenig mehr Tiefgang nicht schlecht gewesen – gerade wenn es um die ernsteren Probleme geht oder wenn der Love Interest nicht in Claires Leben ist. In diesen Szenen wird zu sehr zusammengefasst und dadurch viel Potenzial verschenkt. Wen das nicht stört und wer in eine Welt der 20er Jahre eintauchen will, in der die Probleme nur am Rande beleuchtet werden, ist bei „Claire“ an der richtigen Adresse. Zu empfehlen.