Autor*in: Leigh Bardugo
Übersetzer*in: Michelle Gyo
Taschenbuch: 592 Seiten
ISBN: 978-3426654439
Preis: 14,99 EUR (eBook) / 16,99 EUR (Taschenbuch)
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Story:
Das Leben in der Hafen- und Handelsstadt Ketterdam ist nicht leicht, ganz besonders, wenn man als Kleingauner, Dieb oder Prostituierte im zwielichtigen Barrel lebt. Kaz Brekker hat sich zur gerissenen und skrupellosen rechten Hand eines Ganganführers hochgearbeitet, als ihm einer der reichen Krämer einen geheimen Auftrag anbietet – er soll in das berüchtigte Eistribunal im nördlichen Fjerda einbrechen und einen Wissenschaftler befreien. 30 Millionen Kruge ist dem Mann der Auftrag wert, was Kaz‘ Leben schlagartig verändern könnte. Um eine Chance zu haben, stellt er sich eine wagemutige, verrückte Truppe zusammen – darunter seine Spionin Inej, die Grischa Nina, den in Ungnade gefallenen Fjerda Matthias, den Scharfschützen Jesper und den jungen, auf Bomben spezialisierten Wylan. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg in den Norden, zu einer hochgefährlichen Mission, denn noch nie ist jemandem die Flucht aus dem Eistribunal gelungen …
Eigene Meinung:
„Das Lied des Krähen“ ist der erste Teil der „Krähen“-Duologie von Leigh Bardugo und spielt in der gleichen Welt die die „Grishaverse“-Trilogie, die zeitlich vor den Ereignissen um Kaz und seiner Truppe angesiedelt ist. Nichtsdestotrotz kann man die Reihen unabhängig voneinander lesen, auch wenn man ein besseres Verständnis für die Welt haben dürfte, wenn man zunächst die Trilogie um Alina Starkov gelesen hat. 2021 erschien mit „Shadow and Bone“ die Verfilmung der „Grishaverse“-Trilogie, in der die sechs Krähen als wichtige Handlungsträger auftauchen.
Die Geschichte entführt den Leser in eine Welt, die zeitlich grob dem 19. Jahrhundert entspricht und in der Magie in Form von Grishas vorkommen. Man steigt direkt in Ketterdam ein und lernt die Stadt von seiner schmutzigsten und unangenehmsten Seite kennen – dem Barrel, das ein wenig an das alte Whitechapel in London erinnert. Auch die wichtigen Figuren werden genau beleuchtet – fast ein wenig zu genau, denn nahezu jeder Hauptcharakter erhält seine eigenen Kapitel und damit seine eigene Stimme. Grundsätzlich ist das nicht verkehrt, wenn sich die Rückblenden jedoch über mehrere Kapitel hinziehen und von dem knapp 600-seitigen Roman gute 350 bis 400 Seiten einnehmen, dann ist es doch zu viel. Es bläht die Geschichte ungemein auf, nimmt den Schwund und die Dynamik aus der Geschichte und legt den Fokus von der eigentlichen Handlung (nämlich die Rettung eines Wissenschaftlers aus dem Eistribunal) auf die Hintergründe und Vergangenheit der Figuren. Dadurch fällt jedoch auch eine Sache auf, die ganz besonders im Nachhinein störend wirkt – Leigh Bardugo gibt jeder Krähe außer Wylan eine Stimme. Wenn man die Fortsetzung „Das Gold der Krähen“ liest, weiß man warum, dennoch wirkt es innerhalb dieses Buches inkonsistent ausgerechnet ihm keine Kapitel und Hintergründe zuzugestehen.
Wenn man von den vielen Rückblenden hinwegsieht, die die Verwicklungen und Beziehungen der Figuren untereinander beleuchten, bekommt man eine durchaus spannende, in sich schlüssige Geschichte über einen außergewöhnlichen Einbruch geliefert. Die Autorin wartet mit etlichen Wendungen und Überraschungen auf, die den Figuren alles abverlangen, um ihren Auftrag zu erfüllen. Teils wirken die Aktionen zwar arg übertrieben und nicht immer nachvollziehbar (gerade Inej vollbringt Dinge, die definitiv unmöglich sind), dennoch macht es Spaß, die ungleiche Truppe auf ihrer Mission zu begleiten.
Die Figuren sind sehr gut ausgearbeitet und handeln logisch und nachvollziehbar – so störend die Rückblenden für den Lesefluss sind, so wichtig sind sie, um die Figure zu erfassen und ihre Handlungen zu begreifen. Man erfährt eine Menge über Kaz, Inej, Matthias und Nina, Jesper und Wylan stehen vergleichsweise eher im Hintergrund. Alle Charaktere sind keine klassischen Sympathieträger, ganz besonders Kaz nicht, doch das macht sie lebendig und authentisch. Auch die Nebenfiguren sind gut ausgearbeitet und geben der Geschichte die passende Würze. Positiv ist auch, dass viele Figuren queer oder divers sind, ohne dass dies negativ ins Gewicht fällt oder ausführlich behandelt wird. Homosexualität ist in Leigh Bardugos Welt kein Problem, löst weder Diskussionen aus, noch sorgt es für Schwierigkeiten.
Leigh Bardugos Schreibstil ist geprägt von vielen Details, ausufernden Beschreibungen und Rückblenden. Man lernt ihre Fantasywelt sehr gut kennen, auch wenn man die „Grishaverse“-Trilogie nicht gelesen hat. Man ist immer hautnah bei den Figuren dabei und lernt sie in all ihren Facetten kennen. Einziges Manko sind die Längen, die sich dank der vielen Rückblenden einschleichen und spürbar die Dynamik aus der Geschichte nehmen, ebenso die vielen Gedanken, die sich die Figuren machen, wenn sie im Grunde nur wenig Zeit dafür haben (während einer Actionszene bleibt keine Zeit, um sich über Grundlegendes Gedanken zu machen – da geht es ums Überleben).
Fazit:
„Das Lied der Krähen“ ist ein solider Fantasyroman, der durch eine sehr komplexe Fantasywelt mit vielen verschiedenen Rassen, Religionen und Hintergründen besticht und eine gut durchdachte Rahmengeschichte liefert. Die Figuren sind sehr detailliert in Szene gesetzt und bekommen (bis auf eine Ausnahme) viel Platz, um sich zu entwickeln. Sie sind nicht immer sympathisch, aber nachvollziehbar und authentisch. Einziges Manko sind die vielen Rückblenden, die die eigentliche Geschichte in den Hintergrund drängen und für Längen sorgen. Leigh Bardugo legt dennoch einen gut geschriebenen Roman vor, der Lust auf den zweiten Band macht. Wer Fantasy mit ungewöhnlichen Helden zu schätzen weiß, liegt mit „Das Lied der Krähen“ richtig – 3,5 Sterne von mir.