Autor*in: Becky Albertalli
Übersetzer*in: Bianca Dyck
Taschenbuch: 332 Seiten
ISBN: 978-3846602201
Preis: 9,99 EUR (eBook) / 15,00 EUR (Taschenbuch)
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Story:
Für Imogen ist es das erste Wochenende bei ihrer besten Freundin Lili am College – ein queerer, chaotischer Freundeskreis, ein neues Umfeld und die Tatsache, dass Lili allen erzählt hat, sie wären mal ein Paar gewesen. Imogen spielt das Spiel mit, einfach weil sie ihre queeren Freund*innen unterstützt, wann immer sie kann. Doch dann trifft sie auf die charmante Tessa, die unerwartet Gefühle in ihr weg. Plötzlich muss sich Imogen er Frage stellen, ob sie mehr als nur eine Ally der queeren Community ist und welches Label zu ihr passt.
Eigene Meinung:
Mit „Imogen, Obviously“ legt Becky Albertalli einen weiteren queeren Jugendroman vor, der sich gänzlich mit der queeren Identitätsfindung widmet und eine Teenagerin den Mittelpunkt stellt, die der Meinung ist, sie sei heterosexuell, was auch von ihrem Umfeld so wahrgenommen wird. Die Coming-of-Age Geschichte erschien im Frühjahr 2024 in deutscher Übersetzung bei One und präsentiert Leser*innen eine Mischung aus queerer Identitätsfindung, Freundschaft und Liebe.
Die Geschichte dreht sich um die 17-jährige Imogen, die ihre Freundin Lili am College besucht und dort mit Lilis queerem Freundeskreis ein Wochenende verbringt. Dass Imogen heterosexuell ist, weiß niemand, denn Lili hat sich irgendwann in die Lüge geflüchtet, dass Imogen ihre Ex-Freundin ist. Dieser Umstand sorgt für viele Fragen, die plötzlich in Imogen aufkommen – ist sie wirklich heterosexuell oder hat auch sie eine queere Seite an sich, die sie noch nicht bemerkt hat? Sind die aufkeimenden Gefühle für Tessa echt oder spiegelt sie deren Interesse nur wider, weil sie zumeist von queeren Menschen umgeben ist? Eignet sie sich eine Identität an, die nicht ihre ist und verletzt damit die queere Community. Befeuert wird Imogens innerer Kampf noch durch ihre beste Freundin Gretchen, die queere Menschen in starre Kategorien einordnet und damit zu kämpfen hat, wenn jemand nicht einem entsprechenden Label entspricht.
„Imogen, Obviously“ ist ein sehr persönliches Buch der Autorin Becky Albertalli, in der sie viele eigene Erlebnisse und Erfahrungen verarbeitet hat, die sie teils mit der queeren Community, teils bei ihrer eigenen Identitätsfindung gemacht hat. Bis zu einem gewissen Grad fühlt sich „Imogen, Obviously“ wie eine Abrechnung mit der queeren Community an, denn sie zeigt mit Gretchen einen extrem unsympathischen, übergriffigen, queeren Charakter, der glaubt jeder müsse ein festes Label haben, das man tunlichst nicht hinterfragt. Neben Imogens Suche nach sich selbst spielt auch die langsam wachsende Liebesgeschichte zwischen Tessa und ihr eine große Rolle – Fans von romantischen Liebesgeschichten kommen daher ebenfalls auf ihre Kosten. Einziges Manko ist die Tatsache, dass sich das Buch gerade in der ersten Hälfte ungemein in die Länge zieht und einem Imogens Gedankenkarussell irgendwann zu viel wird – immer dieselben Fragen zu ihren Taten und Reaktionen: Bin ich übergriffig? Betreibe ich Queerbaiting? Spiele ich mit Tessas Gefühlen? Sie hat die Tendenz Dinge auf eine Art zu zerdenken, die es schwer macht, am Ball zu bleiben und das Buch nicht beiseitezulegen, da man den Eindruck hat, dass sie beim ewigen Hin und Her kaum von der Stelle kommt.
Die Figuren sind sehr authentisch und realistisch in Szene gesetzt – Imogen ist die typische Teenagerin, die mit ihrer eigenen Identität hadert und beginnt Dinge zu hinterfragen, als sie von ihrem Umfeld zum ersten Mal nicht als heterosexuelle Frau wahrgenommen wird. Tessa ist ein interessanter, charmanter Love-Interest, die mit ihr flirtet und dafür sorgt, dass Imogen beginnt, sich selbst zu hinterfragen. Als krasser Gegenpol wird Gretchen in die Geschichte eingebaut – offen queer, teils mit sehr starren Ansichten und festgefahrenen Meinungen. Sie nimmt durchweg die Rolle der Antagonistin ein, da sie eine unangenehm übergriffige Seite der queeren Community repräsentiert.
Stilistisch legt Becky Albertalli gewohnt solide Kost vor – sie hat ein Händchen für ihre Figuren und schafft es ihre Gedanken und Gefühle gut zu transportieren. Auch die Beschreibungen und Dialoge sind angenehm, ebenso die Chatverläufe, die in modernen Jugendbüchern obligatorisch sind. Teils zieht sich die Geschichte allerdings, obwohl sie nur eine Zeitspanne von einer knappen Woche umfasst, was vor allem an dem Hin und Her der Protagonistin liegt und den immer gleichen Fragen, die sie beschäftigen. Da hilft auch die sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte zwischen Imogen und Tessa nicht – sie ist süß und passend in Szene gesetzt, aber man muss Geduld haben, bis sich wirklich mehr zwischen den beiden entwickelt.
Fazit:
„Imogen, Obviously“ ist ein schönes, teilweise aber etwas langatmiges Buch über queere Orientierung, Freundschaft, Sexualität und Liebe, in der die Identitätsfindung den Hauptteil der Geschichte einnimmt. Becky Albertalli legt ein gut geschriebenes Jugendbuch vor, in dem sich Imogen hauptsächlich mit der Frage herumplagen darf, ob sie queer ist oder nicht und ob sie Teil der queeren Community sein darf. Hinzu kommt eine zarte, queere Liebesgeschichte und eine ordentliche Portion Kritik an starren Denkweisen und festgefahrenen Rollenbildern hinsichtlich dem, wie queere Menschen zu sein haben. Wer Bücher mag, in denen es um Identitätsfindung geht und in denen die queere Community einen Spiegel vorgehalten bekommt, sollte auf jeden Fall einen Blick riskieren. Wer auf der Suche nach einer lockerleichten, zuckrig-süßen, queeren Liebesgeschichte ist, muss viel Geduld mitbringen …