Autor*in: Carmilla DeWinter
Taschenbuch: 312 Seiten
ISBN: 978-3968150345
Preis: 14,00 EUR (Taschenbuch)
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Story:
Seit Jahrhunderten ist Loki mit Fesseln an die menschliche Welt gebunden, hat sich jedoch mit dem Schicksal arrangiert – mal als Mann, mal als Frau lebt er/sie mit seinem/ihrem Kind Váli in Berlin Kreuzberg. Als Jörmungand, die Midgardschlange aus ihrem ewigen Schlaf im Eis erwacht und zu Loki kommt, wird schnell klar, dass der Klimawandel und der tauende Permafrost auch die Rundensteine freilegen könnte, die Midgard vor den Riesen und Untoten schützt. Kurzerhand beschließt Loki nach Lappland zu reisen und die Rundensiegel zu stärken. Unterstützung findet er/sie bei der asexuellen Heidin Jasna, die gänzlich immun gegen Lokis Flirtversuche ist. Dass sie Loki ohne Vorurteile als genderfluid wahrnimmt und keinerlei Probleme damit hat, ihre Reisebegleitung mal als Mann, mal als Frau zu sehen, sorgt dafür, dass sich eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen ihnen entwickelt …
Eigene Meinung:
Der queere Fantasyroman „Lokis Fesseln“ stammt aus der Feder Carmilla DeWinters und erschien im Mai 2022 bei Edition Roter Drache. Die Autorin hat bereits etliche Bücher veröffentlicht, die dem Gay Romance Genre zuzuordnen sind, hat jedoch bereits in diesen Figuren des Ace- und Aro-Spektrums eingebaut. Inzwischen liegt auch ein Sachbuch zum Thema Asexualität vor, das unter dem Titel “Das asexuelle Spektrum“ erschienen ist, ebenso eine Benefizanthologie, die im Herbst 2023 um eine weitere Anthologie erweitert werden soll.
Die Geschichte um Loki und Jasna spielt in der heutigen Zeit und greift etliche spannende, teils widersprüchliche Aspekte der nordischen Mythologie rund um die silberzüngige Gottheit Loki auf – die Tatsache, dass er mehrere Kinder mit anderen Elternteilen hat und auch mal in einer weiblichen Tiergestalt auftritt. Dies kombiniert sie mit eigenen Elementen und verleiht ihrer Geschichte damit eine solide Basis, die man jedoch nur dann wirklich versteht, wenn man sich zumindest oberflächlich mit der nordischen Mythologie auskennt – das Marvel-Pseudowissen hilft hier dementsprechend nicht. Auch wenn Carmilla DeWinter vieles erklärt, um es den Leser*innen verständlich zu machen, die nur wenig über die Sagen und Legenden wissen, so ist es dennoch nicht verkehrt, sich parallel mit einigen Quellen auseinander zu setzen. Das erschwert hin und wieder das Lesen, doch insgesamt kann man sich gut in die Geschichte einfinden. Die Tatsache, dass Loki beinah täglich zwischen Mann und Frau wechselt, ist zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig, spiegelt jedoch den genderfluiden Aspekt von Lokis Persönlichkeit hervorragend wider. Allgemein sind die queeren Themen sehr gut eingewoben und geben einen vielseitigen Einblick in eher unterrepräsentierte, queere Bereiche wie Asexualität/Aromantik, Pansexualität und Polyamorie. In diesem Zusammenhang sollte man auch den Untertitel des Buches „Familiendrama in fünf Akten“ beachten – wer davon ausgeht, dass die Rettung der Welt im Zentrum steht und es sich um einen abenteuerlichen Tripp voller Geheimnisse und Gefahren handelt, wird schnell ernüchtert sein. Das Familiendrama um Loki steht im Zentrum, ebenso die Geheimnisse und Hintergründe von Lokis damaligen Leben, weit vor der Verbannung nach Midgard. Hinzu kommt Jasna, die Loki vor gänzlich neue Herausforderungen stellt, denn Flirtversuche haben bei der jungen Frau gar keinen Effekt. All das sorgt dafür, dass die Geschichte durchaus ihre Längen hat und das große Finale und die Rettung der Runensteine ein wenig zu schnell von statten geht.
Die Figuren sind liebevoll und gut nachvollziehbar gestaltet – Loki ist eine sehr spannende, gleichzeitig tragische Figur, dem/der ziemlich übel mitgespielt wurde. Er/Sie hat ein Talent dafür, sich aus nahezu jeder Situation herauswinden zu können und hat keinerlei Scheu, seine/ihre Reize dafür einzusetzen. Jasna wiederum ist Lokis komplettes Gegenteil – als asexuelle/aromantische Frau hat sie nicht nur keinerlei Interesse an Romantik und Sex, ihr ist auch nur ein begrenztes Maß an sexueller Ausstrahlung zu eigen, bzw. kann sie nur schwer einschätzen, wie sie auf andere Menschen wirkt. Diese Punkte wurden von Carmilla DeWinter sehr gut ausgearbeitet und unterstreichen gerade diese queere Komponente des Buches hervorragend – Aro/Ace Personen werden sich in Jasna auf jeden Fall wiederfinden.
Auch die übrigen Figuren sind gut in die Geschichte eingewoben – allen voran Jörmungand, der um keinen spitzen, zynischen Kommentar verlegen ist und den Grund für Lokis Verrat an seinen Kindern wissen will und Váli, der in Wolfsform an Lokis Seite lebt. Zudem spielt auch Lokis (Ex-)Frau Sigyn eine größere Rolle, da sie sich im letzten Drittel dem Roadtrip anschließt und sich endlich mit Lokis wahrer Natur auseinandersetzt.
Stilistisch legt die Autorin ein solide geschriebenes, zugleich aber auch ein recht spannungsarmes Buch vor, das sowohl Lokis als auch Jasnas Perspektive aufzeigt. So hat man sowohl Zugang zu Lokis Gedanken und Gefühlen, erfährt sogar durch einige Rückblicke, was in seiner/ihrer Vergangenheit passiert ist, als auch zu Jasna, die mit der Zeit zu einem Fels in der Brandung für Loki wird. Neulingen, die bisher nur wenig Berührungspunkte mit der nordischen Mythologie hatten, fällt es zudem schwer gänzlich in die Geschichte einzusteigen und die vielen verworrenen Aspekte zu sortieren und parallel die Fülle queerer Themen für sich zu verarbeiten. Sicherlich fügen sich die Figuren perfekt in die Geschichte ein und es gibt genügend Quellen für die Rahmenhandlung, dennoch fühlt man sich als Leser*in von der Themenvielfalt manchmal überfordert.
Fazit:
„Lokis Fesseln“ bietet eine ungewöhnliche, queere Geschichte mit schillernden und einzigartigen Figuren, die auf der nordischen Sagenwelt basiert und am besten gelesen werden sollte, wenn man in diesem Bereich über ein solides Grundwissen verfügt. Wer von einem actionhaltigen, Abenteuer-Roadtrip ausgeht, wird enttäuscht werden, da Lokis Vergangenheit, seine/ihre Familienkonstellation und die Gefühlswelten der queeren Figuren im Zentrum stehen. In diesem Punkt liegen auch die Stärken von Carmilla DeWinter – sie stellt den Leser*innen mit Loki eine genderfluide, polyamore Figur vor und mit Jasna jemanden, der aromantisch/asexuell ist. Allein wegen dieser Konstellation lohnt sich „Lokis Fessseln“ – man sollte sich nur vor Augen halten, dass der Untertitel „Familiendrama in fünf Akten“ lautet und man daher keine übermäßige Action und Spannung erwarten kann. Am besten reinschnuppern und selbst entscheiden.