Autor: Garth Greenwell
Taschenbuch: 240 Seiten
ISBN: 978-3446258525
Preis: 16,99 EUR (eBook) | 22,00 EUR (Taschenbuch)
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Story:
Auf der Suche nach schnellem, anonymen Sex trifft ein amerikanischer Lehrer in einer der vielen öffentlichen Toiletten Sofias auf Mitko, einen jungen, charismatischen Bulgaren, der ihn vollkommen fasziniert. In den folgenden Monaten und Jahren treffen die beiden ungleichen Männer immer wieder aufeinander – teils für Sex, teils verbindet sie eine lose Freundschaft, die von Begehren und einer fast schon obsessiven Liebe seitens des Amerikaners geprägt ist und doch keine Früchte tragen kann. Während Mitko immer weiter abrutscht, geht der Lehrer eine Fernbeziehung ein und versucht auf diesem Weg Stabilität in sein unsicheres, von Flucht geprägtes Leben zu bekommen. Und gleichzeitig mit einer Vergangenheit abzuschließen, die man nicht hinter sich lassen kann …
Eigene Meinung:
Der autobiografisch geprägte Roman „Was zu dir gehört“ stammt von Garth Greenwell und erschien 2016 in den USA. Das Debüt um einen namenlosen Lehrer in Sofia, Bulgarien wurde von den Kritikern hochgelobt und konnte verschiedene Literaturpreise gewinnen. In Deutschland erschien Greenwells Debüt 2018 im Hanser Verlag – die gelungene und sehr gute Übersetzung stammt von Daniel Schreiber.
Der Leser begleitet den Ich-Erzähler, der viele Parallelen zum Autor aufweist, durch einen kurzen Abschnitt seines Lebens und ergründet die homosexuellen Neigungen des Erzählers auf verschiedene Art und Weise. Man lernt durch seine Augen Mitko kennen – einen jungen, charismatischen Stricher, der kaum eine Chance hat, sich und sein Leben auf die Reihe zu bekommen, jedoch weiß, was er an einem amerikanischen Gönner hat. Dieser ist gefangen zwischen seiner Vergangenheit, einer Kindheit im republikanisch geprägten Kentucky und seinem fast schon obsessiven, teils aber auch von Liebe geprägten Verlangen Mitko gegenüber. Sein Leben ist durch Flucht bestimmt – fort von seinem Vater, der nichts für seinen schwulen Sohn übrig hatte, nach Bulgarien, wo Homosexualität verachtet und keineswegs akzeptiert wird. So treffen die beiden ungleichen Männer immer wieder aufeinander und während Mitko immer stärker abbaut und sich in dem Strudel aus Alkohol, Drogen und Hoffnungslosigkeit verliert, durchlebt und analysiert der Ich-Erzähler seine Vergangenheit, gibt Einblicke in seine Kindheit und in wichtige Schlüsselszenen seines Lebens. Schnell wird klar, dass er ein zutiefst verletzter und heimatloser Mensch ist, er ist gänzlich entwurzelt. Er findet kaum einen Weg mit seiner Vergangenheit Frieden zu schließen und sich von den Zwängen zu lösen, die ihn von Kindesbeinen an begleitet haben und die er nicht abschütteln kann.
Dass nur Mitko namentlich genannt wird und andere Personen, wenn überhaupt mit dem Anfangsbuchstaben ihres Namens abgekürzt werden, zeigt, wie wichtig Mitko für den Ich-Erzähler ist, wie stark dessen Gedanken und Gefühle von dem jungen Bulgaren geprägt sind. Alle anderen Figuren scheinen nicht wichtig zu sein – nur Mitko zählt und scheint das Recht zu haben, genannt zu werden. Es ist eine seltsame Art von Nähe, die Garth Greenwell zu Mitko aufbaut, gleichzeitig bestimmt aber auch Distanz und Misstrauen die ungleiche Beziehung zwischen dem Bulgaren und dem jungen Lehrer. Es ist nicht leicht, herauszufinden, welcher Art die Verbindung der beiden ist – mal freundschaftlich, mal voller Verlangen, mal destruktiv.
Die Figuren sind sehr authentisch und bleiben dem Leser im Gedächtnis. Beim Ich-Erzähler kann man davon ausgehen, dass es sich teils um die Erlebnisse des Autors handelt – zu viele Parallelen existieren zwischen Romanfigur und Autor: das Lehren an einer angesehenen Schule in Sofia, die stark religiös geprägte Kindheit in Kentucky. Viele der Gedanken und Gefühle des Erzählers dürften autobiografisch sein. Auch Mitko wirkt sehr realistisch in seinen Handlungen – sein Leben und seine Entwicklung hinterlassen einen tiefen Eindruck. Auch scheint er teilweise die LGBT-Szene Bulgariens wiederzuspiegeln und zu zeigen, wie wenig Möglichkeiten queere Menschen in diesem Land haben.
Stilistisch legt Garth Greenwell einen sehr melancholisches, aber auch poetisches Werk vor. Er hat einen sehr ausgereiften, literarisch anspruchsvollen Stil – auf relativ wenigen Seiten erzählt er eine intensive, facettenreiche Geschichte von Liebe, Verlangen und Verlust. Der Autor verzichtet gänzlich auf Dialoge, teils auch auf Absätze, so dass man nicht einmal einen Szenenwechsel optisch erkennen kann. Wie die Gedanken des Erzählers, die fließend von einer Erinnerung in die andere oder von der Gegenwart in die Vergangenheit gleiten, ist auch der Text am Stück geschrieben. Das irritiert zu Beginn, passt jedoch zur Geschichte und den niemals verstummenden Gedanken des Ich-Erzählers. „Was zu dir gehört“ nimmt den Leser gefangen und bleibt lange in Erinnerung – allein die poetische Sprache und die Tiefgründigkeit bleibt lange in Erinnerung.
Fazit:
„Was zu dir gehört“ ist ein sprachlich herausragendes, sehr eindringliches Debüt, das man mit allen Sinnen und ohne Hektik lesen sollte – es ist kein Buch für Zwischendurch. Garth Greenwell ist ein beeindruckendes Werk über Liebe, Verlangen und Entwurzelung gelungen, das durch sehr authentische Figuren und sprachliche Brillanz besticht. Wer auf der Suche nach einem Roman ist, der sich nicht hinter den Werken von Baldwin oder Hollinghurst verstecken muss, sollte auf jeden Fall einen Blick riskieren. Garth Greenwell hat ein außergewöhnliches Buch geschrieben, das lange nachhallt. Zu empfehlen …